Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsweg zum Arbeitsgericht in sog. "sic-non-Fällen". Keine Zusammenhangszuständigkeit nach § 2 Abs. 3 ArbGG bei sog. "sic-non-Fällen". Konkludente Aufhebung eines Arbeitsvertrags bei Abschluss eines Geschäftsführervertrags. Neubegründung des früheren Arbeitsverhältnisses nach Abberufung als Geschäftsführer

 

Leitsatz (amtlich)

1. Macht ein ehemaliger Geschäftsführer nach Abberufung bei streitiger (Neu-)Begründung eines Arbeitsverhältnisses Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geltend und fehlt eine vertragliche Regelung zu einem solchen Anspruch, so dass er allein auf § 3 Abs. 1 EFZG gestützt werden kann, begründet dieser Teil der Klage einen sog. sic-non Fall, in dem allein aufgrund der doppelrelevanten Rechtsansicht des Klägers, im Streitzeitraum Arbeitnehmer gewesen zu sein, insoweit der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten begründet ist.

2. Werden neben der Entgeltfortzahlungsklage weitere Ansprüche geltend gemacht, ist für diese gesondert die Rechtswegzuständigkeit zu prüfen, denn sic-non-Fälle können keine Zusammenhangszuständigkeit nach § 2 Abs. 3 ArbGG begründen.

3. Schließen bislang durch einen Arbeitsvertrag verbundene Vertragsparteien einen schriftlichen Geschäftsführerdienstvertrag, wird damit das bisherige Arbeitsverhältnis, selbst wenn es in dem Vertrag keine Erwähnung findet, in der Regel formwirksam konkludent aufgehoben. Das gilt auch, wenn der Geschäftsführerdienstvertrag auf Unternehmensseite durch einen Vertreter der Gesellschafter und nicht durch einen (anderen) Geschäftsführer unterzeichnet wird. Denn insoweit ist von einer Annexvertretungskompetenz der Gesellschafterversammlung und ihrer Vertreter auszugehen (Anschluss an LAG Hamburg vom 19.11.2008 - 4 Ta 20/08).

4. Zwar wandelt sich der Geschäftsführerdienstvertrag dann nach Abberufung als Geschäftsführer nicht automatisch wieder in einen Arbeitsvertrag um. Erklärt jedoch der Vertreter der Gesellschafter, dass man das bisherige Arbeitsverhältnis mit der dort geregelten Tätigkeit, jedoch dem Gehalt aus dem Geschäftsführerdienstvertrag fortsetzen wolle und setzen die verbleibende Geschäftsführung und der abberufene Geschäftsführer dies dann um, indem Letzterer entsprechend weiterbeschäftigt wird, liegt darin eine wirksame konkludente Neubegründung des früheren Arbeitsverhältnisses. Für die hieraus abgeleiteten Ansprüche ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten begründet.

 

Normenkette

GVG § 17a; ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 5 Abs. 1 Sätze 1, 3; EFZG § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 1; BUrlG § 7 Abs. 4; GmbHG §§ 35, 46

 

Verfahrensgang

ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 25.01.2022; Aktenzeichen 6 Ca 2019/21)

 

Tenor

  • I.

    Auf die sofortige Beschwerde des Klägers vom 11.02.2022 wird der Rechtswegbeschluss des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 25.01.2022 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 21.03.2022 abgeändert und der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für zulässig erklärt.

  • II.

    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beklagte.

  • III.

    Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 7.155,55 € festgesetzt.

  • IV.

    Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlungsansprüche für September und Oktober 2021, über einen Schadensersatzanspruch wegen Entzugs der Privatnutzungsmöglichkeit hinsichtlich eines Dienstwagens für den Zeitraum vom 22.10. bis 30.11.2021, über einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung für 17 Urlaubstage sowie in diesem Zusammenhang vorab insgesamt über die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den Arbeitsgerichten.

Der am 20.04.1969 geborene, verheiratete und gegenüber zwei Kindern unterhaltspflichtige Kläger war bei der Beklagten seit dem 01.06.2019 beschäftigt. Zunächst war er als Verkaufsleiter auf der Grundlage eines Anstellungsvertrages vom 22.05.2019 im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses für die Beklagte tätig.

Unter dem 31.08.2020 unterzeichneten der Kläger einerseits und Frau C. als Vertreterin des Gesellschafters der Beklagten andererseits einen Geschäftsführervertrag, wegen dessen Inhalts im Einzelnen auf Blatt 56 ff. der Akte Bezug genommen und der auszugsweise wörtlich wie folgt wiedergegeben wird:

"I.

Aufgaben und Pflichten

Der Geschäftsführer übernimmt ab dem 01. September 2020 die Stellung als Geschäftsführer der Gesellschaft. [...]

[...]

IV.

Dauer des Vertragsverhältnisses

Der Vertrag wird auf unbestimmte Dauer geschlossen.

Er kann von jedem Vertragsteil mit einer Frist von 6 (sechs) Monaten zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden, erstmalig zum 31. Dezember 2021.

Das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grunde bleibt für die Gesellschaft und den Geschäftsführer unberührt.

Die Kündigung bedarf der Schriftform.

Nach einer ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung dieses Vertrages ist die Gesellschaft jederzeit berechtigt, den Geschäftsführer von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung für die Gesellschaft sofort freizustellen. Dies gilt unabhängig davon, welcher Vertragsbeteiligter die ausgesprochen hatte.

Die Bestellung zum Geschäftsführer kann durch Gesel...

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