Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordentliche Verdachtskündigung. Verwirkung des Kündigungsrechts. Arbeitsgeberseitiger Auflösungsantrag

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Grundsätzlich kann das Recht zur Kündigung verwirken, wie andere Rechte auch. Der Einwand der materiell-rechtlichen Verwirkung eines Rechts ist ein Sonderfall des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung. Ein Anspruch oder ein Recht wie das Kündigungsrecht ist dann verwirkt, wenn der Berechtigte längere Zeit hindurch untätig geblieben ist, dadurch den Eindruck erweckt hat, er wolle das Recht nicht mehr geltend machen, sein Vertragspartner sich auf den dadurch geschaffenen Vertrauenstatbestand eingestellt hat und es ihm deshalb nicht mehr zugemutet werden kann, sich auf das verspätete Begehren des Berechtigten einzulassen.

2. Für die Frage, ob ein Arbeitnehmer „Personalverantwortung” getragen hat, kommt es nicht auf eine Anzahl der vom Arbeitnehmer unterzeichneten Kündigungen oder Aufhebungsverträgen oder anderer personeller Maßnahmen an, denn die Quantität kann nicht entscheidend sein. Maßgeblich ist vielmehr das Gewicht der zu tragenden personellen Verantwortung und ob dies die Tätigkeit qualitativ prägt. Allerdings darf die Personalverantwortung nicht nur „auf dem Papier” stehen.

 

Normenkette

KSchG §§ 1, 9, 14 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Bremen-Bremerhaven (Urteil vom 13.05.2009; Aktenzeichen 8 Ca 8352/08)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten hin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 13.05.2009 – Az.: 8 Ca 8352/08 – teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

  1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 04.12.2008 nicht aufgelöst wird.
  2. Das Arbeitsverhältnis wird zum 31.03.2009 auf den Hilfsantrag der Beklagten hin aufgelöst.

    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 20.000 als Abfindung zu zahlen.

  3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte zu 3/5 und der Kläger zu 2/5.

Die Revision für den Kläger wird in Bezug auf Ziffer 2 und 3 des Tenor zugelassen. Für die Beklagte wird die Revision nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um eine ordentliche verhaltensbedingte Arbeitgeberkündigung, Weiterbeschäftigung, Zahlung und einen arbeitgeberseitigen Auflösungsantrag. Die Beklagte wirft dem Kläger u.a. vor, seine Funktion als Geschäftsbereichsleiter Nord dazu missbraucht zu haben, einem Bekannten günstigere Entlohnungsbedingungen zugeschanzt zu haben.

Die Beklagte ist ein europaweit bekanntes Unternehmen der Zeitarbeitsbranche. Seit dem 01.05.2007 ist bei ihr der Kläger als Geschäftsbereichsleiter tätig. In dieser Eigenschaft betreut er die Niederlassungen in K., H., Ha., B., Br., W. und R.. Das monatliche Bruttogehalt beträgt EUR 10.500,00 fix. Daneben erhält der Kläger eine Jahressonderzahlung in Höhe von 30 % des Gesamtgehaltes, mindestens einen Sockelbetrag von EUR 800,00. Daneben erzielt er eine Provision. Für das Jahr 2008 war gemäß § 13 des Einstellungsvertrages insgesamt ein Zielgehalt von EUR 210.000,00 brutto angestrebt.

Der Geschäftsführung der Beklagten sind die Geschäftsbereichsleiter unmittelbar nachgeordnet (vergleiche Organigramm auf Blatt 61 der Akte). Die Bezeichnung Geschäftsbereichsleiter entspricht der früheren Bezeichnung Regionalleiter. Für Regionalleiter existiert eine Stellenbeschreibung (undatiert, vergleiche Blatt 62 f. der Akte). Darin heißt es unter anderem:

Hauptaufgaben:

führen und coachen der Niederlassung/s-leiter, Kommunikationsschnittstelle zwischen GF und NL Gewinnung von Topkunden und Topmitarbeitern, Sicherstellung der ordnungsgemäßen Abläufe in den Niederlassungen.

Kompetenzen:

i. V.

Grundsatz

Der Regionalleiter ist Mitglied des oberen Führungskreises. Somit wird ein Höchstmaß an Loyalität und vorbildlichem Handeln vorausgesetzt. Der Regionalleiter ist für den Gesamterfolg des Unternehmens mit verantwortlich.

Im Dezember 2008 umfasste der Geschäftsbereich Nord der Beklagten 562,25 Stellen, wovon 84,25 auf Vertriebs- und Verwaltungspositionen und 478 auf Projektingenieure entfielen. Während der Tätigkeit des Klägers im Jahre 2008 wurden insgesamt 40 interne Mitarbeiter und rund 200 bei Kunden eingesetzte Projektingenieure eingestellt. Im Jahr 2008 wurde im Geschäftsbereich Nord ein Umsatz von etwa 40 Mio. Euro erzielt, was einem Anteil von 30 % am Gesamtumsatz der Beklagten ausmache.

Organisatorisch wird bei der Beklagten zwischen Mitarbeitern im Vertrieb und in der Verwaltung sowie den Projektingenieuren unterschieden. Während erstere für die Akquise von Aufträgen und die Abwicklung derselben verantwortlich sind, werden die Projektingenieure für die Beklagte bei den Kundenunternehmen eingesetzt.

Personelle Maßnahmen betreffend die Mitarbeiter im Vertrieb und der Verwaltung behält sich die Geschäftsführung beziehungsweise zentrale Personalleitung vor. Personelle Entscheidungen, die Projektingenieure betreffend, werden auf den darunter ...

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