Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsteilübergang. prozessuale Verwirkung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein vom Arbeitgeber freigestellter Arbeitnehmer ist anders als im Falle eines Betriebsübergangs nach zunächst wirksam erklärter Kündigung nicht gehalten, vom Erwerber binnen drei Wochen ab Kenntnis vom Betriebsübergang Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses zu verlangen.

2. Da sich der Erwerber gemäß § 613a Abs. 1 S. 1 BGB ab Übergang des Arbeitsverhältnisses ebenfalls in dem vom Veräußerer durch Freistellung des Arbeitnehmers begründeten Annahmeverzug befindet, ist es nicht Sache des Arbeitnehmers, seine Arbeitskraft anzubieten, um sich nicht dem Einwand der Verwirkung auszusetzen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Das Bundesarbeitsgericht bittet, sämtliche Schriftsätze bei ihm in 7-facher Ausfertigung einzureichen.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 613a Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 13.03.2002; Aktenzeichen 51 Ca 29042/01)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 18.12.2003; Aktenzeichen 8 AZR 621/02)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 13. März 2002 – 51 Ca 29042/01 – geändert.

2. Es wird festgestellt, dass das ursprüngliche Arbeitsverhältnis des Klägers zur DOW seit dem 01. Juni 2001 zur Beklagten fortbesteht.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger trat am 01. November 2000 in die Dienste der Deutsche O. W. GmbH & Co. KG Prod. Ges. (DOW), deren Niederlassung in Berlin einschließlich der Zentrale vier Betriebsstätten umfasste. Als Technischer Betriebsleiter der Betriebsstätte G.-P.-Straße war der Kläger aufgrund seines Arbeitsvertrags (Abl. Bl. 29–31 d.A.) für Einkauf, Arbeitsorganisation, Reparatur und Personalfragen zuständig. Bei dieser Betriebsstätte handelte es sich um ein reines Auslieferungslager, in dessen Werkstatt lediglich sog. Notreparaturen durchgeführt wurden, um die ausgegebenen Hilfsmittel in einen funktionstüchtigen Zustand zu versetzen.

Im April 2001 entzog die A. Berlin der DOW die Zulassung zur Abgabe medizinischer Hilfsmittel. Da die Ersatzkassen ihr die Abwicklung bereits vorliegender Aufträge gestatteten, war es dem inzwischen eingesetzten vorläufigen Insolvenzverwalter möglich, die Geschäftstätigkeit der DOW gleichwohl aufrechtzuerhalten.

Mit Schreiben vom 31. Mai 2001 (Abl. Bl. 32 d.A.) stellte der vorläufige Insolvenzverwalter den Kläger mit sofortiger Wirkung unwiderruflich von der Arbeit frei. Am folgenden Tag wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der DOW eröffnet. Seit diesem Tag entfaltete die in Niedersachsen ansässige Beklagte in der Betriebsstätte G.-P.-Straße betriebliche Aktivitäten, wobei sie unstreitig zumindest einen Teil der dortigen Mitarbeiter weiterbeschäftigte. Für diese Betriebsstätte erhielt die Beklagte von der A. Berlin mit Schreiben vom 19. Juli 2001 (Abl. Bl. 106 u. 107 d.A.) eine Zulassung, die allerdings nur bis zum 31. März 2002 befristet war. Mit Rücksicht darauf bezog die Beklagte Anfang 2002 neue Betriebsräume.

Eine dem Kläger vom Insolvenzverwalter mit Schreiben vom 14. Juni 2001 (Abl. Bl. 34 u. 35 d.A.) wegen Betriebseinstellung ausgesprochene Kündigung wurde von diesem nach Hinweis des Klägers auf seine Schwerbehinderung mit Schreiben vom 06. Juli 2001 (Abl. Bl. 9 d.A.) unter Aufrechterhaltung der erfolgten Freistellung widerrufen.

Mit seiner am 26. Oktober 2001 erhobenen Klage macht der Kläger den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte aufgrund Betriebsteilübergangs geltend. Er hat behauptet, die Beklagte habe außer ihm sämtliche 22 Mitarbeiter der Betriebsstätte G.-P.-Straße übernommen.

Die Beklagte hat eingeräumt, von den etwa 300 Mitarbeitern der DOW an diversen Standorten in Deutschland lediglich 60 übernommen zu haben, von den etwa 50 Mitarbeitern am Standort Berlin insgesamt 22. In Berlin sei jedoch lediglich die Betriebsstätte in der G.-P.-Straße fortgeführt worden. Während die DOW medizinische Hilfsmittel auch produziert habe, verfolge sie ausschließlich den unternehmerischen Zweck, als sog. Lager für die Krankenkassen zu fungieren und den Einsatz der Hilfsmittel zu organisieren. Außerdem habe sie keine Kunden der DOW, zu denen insbesondere die verschiedenen Krankenkassen gehört hätten, übernommen. Jedenfalls habe der Kläger versäumt, sich unverzüglich an sie wegen seiner Weiterbeschäftigung zu wenden.

Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger hätte wie im Falle einer wirksamen Kündigung vor Betriebsübergang einen Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte unverzüglich geltend machen müssen. Mit dem Gebot der Rechtssicherheit sei es unvereinbar, wenn er monatelang auf eine neue Kündigung des Insolvenzverwalters gewartet habe, also von einem Arbeitsverhältnis zur DOW weiter ausgegangen sei. Das Erfordernis einer unverzüglichen Geltendmachung stehe im Gleichklang zum Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers bei Betriebsübergang, das gleichfalls nu...

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