Entscheidungsstichwort (Thema)

Weitergeltung von Befähigungsnachweisen nach Artikel 37 Abs. 1 Einigungsvertragsgesetz. Auswirkungen auf den Kündigungsgrund der mangelnden fachlichen Eignung i. S. von Abs. 4 Nr. 1 der Anlage I, Kapitel XIX, Sachgebiet A, Abschnitt III, Ziff. 1

 

Leitsatz (amtlich)

1. Art. 37 Abs. 1 Satz 1 des Einigungsvertragsgesetzes (EinigVtr) stellt nicht auf Berufsbezeichnungen ab, sondern ordnet die Weitergeltung u.a. von Befähigungsnachweisen zur Ausübung eines bestimmten Berufs im Beitrittsgebiet an. Diese räumlich beschränkte Weitergeltung setzt nicht die Feststellung einer Gleichwertigkeit mit entsprechenden Befähigungsnachweisen der alten oder neuen Bundesländer voraus, wie es in Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EinigVtr für den Fall der unbeschränkten Anerkennung solcher Befähigungsnachweise vorgesehen ist.

2. Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EinigVtr setzt das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG um auf freie Wahl des Arbeitsplatzes und den dadurch gewährleisteten Schutz des Einzelnen in seinem Entschluß, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit in seinem Beruf zu ergreifen, beizubehalten oder aufzuheben (im Anschluß an BVerfG, Urteil vom 24.4.1991 – 1 BvR 1341/90).

3. Die Kulturhoheit der Länder gestattet es nicht, bei der ihnen gem. Art. 37 Abs. 4 Satz 1 EinigVtr obliegenden Neugestaltung des Schulwesens im Beitrittsgebiet Inhaber von nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 G-EV weitergeltenden Befähigungsnachweisen von der weiteren Beschäftigung im Schuldienst völlig auszuschliessen bzw. das bestehende Arbeitsverhältnis wegen mangelnder fachlicher Qualifikation gem. der Anlage I, A, III Nr. 1 Abs. 4 Nr. 1 zu kündigen, ohne die Möglichkeit der Weiterqualifizierung für etwa geänderte Anforderungen zu eröffnen.

 

Normenkette

Art. 37 Abs. 1 G-EV und Anlage I, Kapitel XIX, Sachgebiet A Abschnitt III, Ziff. 1 Abs. 4 Nr. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 29.10.1991; Aktenzeichen 65 A Ca 17456/91)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 25.02.1993; Aktenzeichen 8 AZR 246/92)

 

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das am 29. Oktober 1991 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Berlin – 65 A Ca 17456/91 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigungen vom 4. Juli und 20. September 1991, die das beklagte Land dem Kläger unter Berufung auf das Einigungsvertragsgesetz, Anl. I, Kap. XIX, Sachgebiet A, Abschn. III Ziff. 1 Abs. 4 Nr. 1 ausgesprochen hat.

Der 36jährige Kläger absolvierte von August 1972 bis Juli 1976 ein Studium am Institut für Lehrerbildung Berlin, das mit dem Fachschulabschluß endete. In dem ihm am 3. Juli 1976 hierüber erteilten Zeugnis/Nachweis, für dessen Einzelheiten auf die bei den Akten befindliche Fotokopie (Bl. 59 d. A.) Bezug genommen wird, heißt es:

„Sie/Er erhält damit die Befähigung zur Arbeit als Freundschaftspionierleiter sowie die Lehrbefähigung für die Fächer

Deutsch

Wahlfach: Musik

der unteren Klassen der allgemeinbildenden … Oberschule und ist berechtigt, die Berufsbezeichnung

„Freundschaftspionierleiter” zu führen.”

Die Abschlußprüfung umfaßte eine Abschlußarbeit und Abschlußprüfungen in 15 Fächern, die sich aus der bei den Akten befindlichen Fotokopie (Bl. 60) ergeben.

Nach dem Studium war der Kläger zunächst bis April 1978 als Freundschaftspionierleiter im Bezirk … tätig. Während dieser Zeit erteilte er sechs Unterrichtsstunden/Woche in der Unterstufe.

Nach Ableistung des Wehrdienstes war der Kläger Jugendfürsorger beim Rat des Stadtbezirks Berlin- … Gemäß Überleitungsvertrag vom 31.1.1985 mit dem Rat des Stadtbezirks Berlin- … Abt. Volksbildung, sollte der Kläger am 1.3.1985 die Tätigkeit als Horterzieher in Berlin- … aufnehmen. Er wurde jedoch seit August 1985 bis Juli 1991 ausschließlich als Lehrer eingesetzt, und zwar unterschiedlich in den einzelnen Schuljahren zehn bis zwölf Wochenstunden Deutsch, fünf bis sechs Stunden Mathematik sowie in den Fächern Musik, Werken und Gesellschaftskunde im Umfang von jeweils vier bis sechs Wochenstunden. In dieser Zeit war er weder als Horterzieher noch als Freundschaftspionierleiter tätig. Am 29.6.1988 wurde ihm im Einstufungsbescheid aufgrund der Qualifikation als pädagogischer Fachabschluß und der Tätigkeit als Lehrer die Gehaltsgruppe III, Steigerungsstufe 6 mitgeteilt.

Sowohl die Ausbildung der Freundschaftspionierleiter als auch diejenige der Unterstufenlehrer erfolgte in der ehemaligen DDR an den Instituten für Lehrerbildung. Im Vergleich der beiden Ausbildungsgänge ergeben sich in den nachgenannten Fächern folgende Pflichtstundenzahlen:

Fach

Lehrer untere Klassen

Freundschaftspionierleiter

Marxismus-Leninismus

282

282

DDR-Geschichte

99

99

Pädagogik

243

240

Psychologie

192

210

Gesundheitserziehung

83

83

Fach

Lehrer untere Klassen

Freundschaftspionierleiter

Deutsch/Sprache

223

222

Deutsch/Methode

264

264

Deutsch/Literatur

239

239

Mathematik/Fach

397

165

Mathematik/Methodik

201

0

Sprecherziehung

32

32

Russisch

165

165

Sport

222

222

F/B

17

17

Abschlußarbeit politisch päd...

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