Entscheidungsstichwort (Thema)

Vermutung Diskriminierung bei Verstoß gegen Förderpflichten Schwerbehinderter. Pflichtverstoß bei fehlender unmittelbarer Information für Schwerbehindertenvertretung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für eine Unterrichtung nach § 164 Abs. 1 S. 4 SGB IX reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber alle Bewerbungsunterlagen auch der Schwerbehindertenvertretung elektronisch zugänglich macht. Es muss vielmehr unverzüglich ein Hinweis ergehen, ob und welcher der - hier 50 - Bewerber schwerbehindert ist.

2. Die Klägerin ist als schwerbehinderte Bewerberin nicht automatisch deswegen offensichtlich ungeeignet für die ausgeschriebene Stelle nach der Vergütungsgruppe E 10 TV-L im Sinne von § 165 S. 4 SGB IX, weil sie über den im Anforderungsprofil verlangten Hochschulabschluss nicht verfügt, zumal sich diese Voraussetzung weder aus den Eingruppierungsmerkmalen noch aus dem Anforderungsprofil selbst ergibt.

 

Normenkette

AGG §§ 1, 3, 7, 15, 22; SGB IX § 164 Abs. 1 S. 4, § 165 S. 3; ArbGG § 61b Abs. 1; SGB IX § 178

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 11.04.2019; Aktenzeichen 58 Ca 11246/18)

 

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 11.04.2019 - 58 Ca 11246/18 - werden zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits II. Instanz haben die Klägerin zu 1/3 und das beklagte Land zu 2/3 zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Entschädigung wegen einer behaupteten Diskriminierung aufgrund einer Schwerbehinderung.

Die 1967 geborene Klägerin hat einen GdB (Grad der Behinderung) von 90. Sie weist einen Abschluss als staatlich anerkannte Grafik-Designerin auf, den sie nach dreijähriger Ausbildung im Jahr 1992 beim L. Verein, einer Berufsfachschule, erwarb. Danach war sie verschiedentlich als Grafikerin, aber auch in anderen Berufen tätig.

Das beklagte Land schrieb unter Angabe einer Bewerbungsfrist bis zum 30. März 2018 (Karfreitag) eine Stelle für eine Grafikerin für das Aufgabengebiet Grafik und Layout, Corporate Design, die nach der Entgeltgruppe 10 TV-L bewertet ist, aus. Als Anforderungen wurden in der Ausschreibung ein Studium Kommunikationsdesign, Grafikdesign (Bachelor oder FH-Diplom) und eine mindestens dreijährige Berufserfahrung als Grafikerin oder Kommunikationsdesignerin angeführt sowie wegen weiterer fachlicher und außerfachlicher Anforderungen auf ein ergänzendes Anforderungsprofil verwiesen. Wegen des weiteren Inhalts dieser Ausschreibung, insbesondere auch im Hinblick auf das dort genannte Arbeitsgebiet und die ausweislich des Anforderungsprofils genannten Fachkompetenzen wird auf die Anlage K 1 (Blatt 19 bis 27 der Akte) Bezug genommen. Die Klägerin bewarb sich elektronisch am 30.03.2018 unter Hinweis auf die bei ihr vorliegende Schwerbehinderteneigenschaft. Wegen ihres Lebenslaufs und der weiteren mit ihrer Bewerbung eingereichten Unterlagen wird auf das Anlagenkonvolut K 2 (Blatt 28 bis 41 der Akte) Bezug genommen.

Das beklagte Land hat einheitlich ein elektronisches Bewerbungsverfahren eingeführt. Innerhalb der einzelnen Senatsverwaltungen werden die eingehenden Bewerbungen mittels des sogenannten E-Recruitingverfahrens rexx erfasst und bearbeitet. Die Schwerbehindertenvertretung hat über das Portal laufend die Möglichkeit, sich über die Stellenausschreibungen und deren Anforderungsprofile zu informieren. Nach Ablauf der Bewerbungsfrist wird das Bewerberverfahren durch die Stellenwirtschaft weitergeleitet, womit dann die Angaben und Unterlagen für den beteiligten Fachbereich und die Gremien innerhalb des Verfahrens rexx einsehbar werden. In eine so genannte Generalienakte kommen dabei nach Ablauf der Bewerbungsfrist die Angaben des Fachbereichs zu einer Vorauswahl und die jeweilige Bewerberliste. Im Fall der Klägerin wurde die Schwerbehindertenvertreterin am 03.04.2018 mit dem Verfahren rexx über die vorliegenden 50 Bewerbungen, einschließlich der Bewerbung der Klägerin informiert. Sämtliche Unterlagen waren einsehbar. Ein gesonderter Hinweis an die Schwerbehindertenvertretung, dass sich eine schwerbehinderte Person unter den Bewerbern befand, erfolgte nicht. Das System zeigt an, wenn es Veränderungen in einem Bewerbungsverfahren gibt. Das System lässt es auch zu, dass die beteiligten Fachbereiche und Gremien eigene Listen und Bearbeitungen erstellen. Der interne Vorauswahlvermerk vom 09.04.2018 über die Einladungen zu einem Auswahlgespräch sowie eine Bewerbungsübersicht in tabellarischer Form (Bl. 127f der Akte) wurde am 26.04.2018 in der Generalienakte abgespeichert und war ab diesem Zeitpunkt auch für die Schwerbehindertenvertreterin dort sichtbar.

Vorstellungsgespräche, zu denen 7 Personen eingeladen wurden, fanden am 04.05.2018 statt. Die Auswahlentscheidung wurde am 09.05.2018 getroffen. Am 15.05.2018 hat die Schwerbehindertenvertretung durch Abzeichnung ihre Beteiligung abgeschlossen.

Mit Schreiben vom 23.05.2018 teilte das beklagte Land der Klägerin mit, ...

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