Entscheidungsstichwort (Thema)

Umkleidezeiten als fremdnützige Tätigkeit. Vergütung für Umziehzeiten bei auffälliger Dienstkleidung. Gleichwertigkeit häuslicher Umziehzeiten bei fehlender Umkleidemöglichkeit im Betrieb. Fremdnützigkeit des Arbeitswegs in Uniform

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Umziehen im Betrieb, soweit eine auffällige Bekleidung anzulegen ist, ist nach der Rechtsprechung des BAG auf jeden Fall fremdnützig, da es sich um eine Tätigkeit handelt, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient. Die ausschließliche Fremdnützigkeit entfällt nach hiesiger Ansicht jedenfalls dann nicht, wenn sich der Arbeitnehmer zu Hause umzieht und ihm eine zumutbare betriebliche Umkleidemöglichkeit durch den Arbeitgeber nicht zur Verfügung gestellt wird.

2. Der Arbeitsweg wird selbst dann nicht ausschließlich fremdnützig zurückgelegt, wenn wegen unzumutbarer Umkleidemöglichkeiten vor Ort die Uniform schon zu Hause angelegt werden muss. Der Arbeitsweg bleibt insofern mindestens auch eigennützig.

 

Normenkette

BGB § 241 Abs. 2, § 611; ArbStättV Anh. Nr. 4.1 Abs. 3; ZPO § 256 Abs. 1, § 287 Abs. 1 Sätze 1-2; TV-L § 6 Abs. 1 S. 3, Abs. 3, § 7 Abs. 8 Buchst. c) Alt. 1, § 8 Abs. 1 Sätze 4-5, § 24 Abs. 1 S. 4, §§ 26, 37 Abs. 1; ArbZG § 11 Abs. 1, 3 S. 1, Abs. 4, § 5 Abs. 1, § 16 Abs. 2; ZPO § 287 Abs. 2, § 92 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 08.08.2018; Aktenzeichen 21 Ca 4787/18)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 13.10.2021; Aktenzeichen 5 AZR 658/19)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 08.08.2018 - 21 Ca 4787/18 - teilweise abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, die vom Kläger in der Zeit seit dem 1. Oktober 2017 an den Tagen, an denen er tatsächlich als stellvertretender Objektführer an der Botschaft des Staates Israel (Auguste-Viktoria-Straße 74 - 78, 14193 Berlin) und dem Deutschen Bundestag (Platz der Republik 1, 11011 Berlin) eingesetzt wurde sowie die vom Kläger in der Zeit vom 1. Oktober 2017 bis 30. September 2018 an den Tagen, an denen er tatsächlich als stellvertretender Posten- und Streifenführer mit Dienstantritt in der Hauptdienststelle (Königstraße 5, 14163 Berlin) eingesetzt wurde, jeweils im häuslichen Bereich erbrachte zusätzliche Arbeitszeit für das An- und Ablegen der Dienstuniform (Umkleiden) sowie das Auf- und Abrüsten mit den dem Kläger persönlich zugewiesenen Ausrüstungsgegenständen (Rüsten) im Umfang von insgesamt 10 Minuten (bestehend aus 5 Minuten vor dem offiziellen Dienstbeginn und 5 Minuten nach dem offiziellen Dienstende) nach Maßgabe der tariflichen Vorschriften des TV-L nach der zutreffenden Entgeltgruppe des Klägers zu vergüten;

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, die vom Kläger an den Tagen, an denen er tatsächlich gearbeitet und das dienstliche Waffenschließfach genutzt hat, für den Beklagten erbrachte zusätzliche Arbeitszeit für das Zurücklegen von zusätzlichen Wegezeiten für das tatsächliche Aufsuchen des Waffenschließfachs, das Laden und Entladen sowie das Anlegen und Ablegen der Dienstwaffe in der Zeit seit dem 2. Oktober 2018 im Umfang von 4 Minuten beim Dienstantritt in der Hauptdienststelle (Königstraße 5, 14163 Berlin) nach Maßgabe der tariflichen Vorschriften des TV-L nach der zutreffenden Entgeltgruppe des Klägers zu vergüten.

II. Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 08.08.2018 - 21 Ca 4787/18 - nur hinsichtlich des Tenors III. teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger auf seinem Zeitkonto 1,77 Arbeitsstunden für geleistete Mehrarbeit gutzuschreiben.

III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

IV. Die weitergehenden Berufungen des Klägers und des beklagten Landes werden zurückgewiesen.

V. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

VI. Die Revision wird für den Kläger zugelassen, soweit der Hilfsantrag zu 3a zurückgewiesen wurde. Im Übrigen wird sie für die Parteien nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Vergütung von Umkleide-, Rüst- und Wegezeiten, um die Berechnung von Urlaub und Zusatzurlaub bei Wechselschichttätigkeit, um die Gewährung von Ruhezeiten und beschäftigungsfreien Sonntagen, um den Ausgleich dienstfreier Zeiten an Feiertagen und um die regelmäßige Beschäftigung im neuen Arbeitszeitmodell an mehr als fünf Tagen pro Woche.

Der 1971 geborene Kläger war aufgrund Arbeitsvertrags vom 25.11.2010 seit dem gleichen Tag als Wachpolizist vollzeitig im Zentralen Objektschutz bei dem beklagten Land beschäftigt. Im streitgegenständlichen Zeitraum seit Sommer 2015 war und ist er unter anderem als stellvertretender Objektführer an der Botschaft des Staates Israel (Auguste-Viktoria-Straße 74 - 78, 14193 Berlin) und dem Deutschen Bundestag (Platz der Republik 1, 11011 Berlin), als stellvertretender Posten- und Streifenführer mit Dienstantritt in der Hauptdienststelle (Königstraße 5, 14163 Berlin) und als Stammbasiskraft an der Neuen Synagog...

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