Entscheidungsstichwort (Thema)

Hinweispflicht des Arbeitgebers bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit obsolet. Initiativpflicht des Arbeitgebers bei Verwirklichung des Urlaubsanspruches. Kein Schuldanerkenntnis wegen Lohnabrechnung

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Urlaubsanspruch eines Langzeiterkrankten verfällt mit Ablauf des 31. März des Folgejahres.

 

Normenkette

BUrlG § 7 Abs. 4, 3; ArbGG § 72 Abs. 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Potsdam (Entscheidung vom 14.11.2019; Aktenzeichen 1 Ca 882/19)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 07.09.2021; Aktenzeichen 9 AZR 3/21 (A))

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom 14.11.2019 - 1 Ca 882/19 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten zweitinstanzlich nunmehr über Urlaubsabgeltungsansprüche für insgesamt 69 Urlaubstagen aus den Kalenderjahren 2015 (9 Urlaubstage), 2016 (30 Urlaubstage) und 2017 (30 Urlaubstage) in rechnerisch unstreitiger Höhe.

Der Kläger war in der Zeit vom 01.11.2001 bis zum 31.12.2019 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Monteur für den Unternehmensbereich Elektrotechnik/Oberleitung beschäftigt. Seit dem 18.11.2015 war der Kläger bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund Eigenkündigung aus gesundheitlichen Gründen vom 27.11.2019 (Bl 174 GA) bis zum 31.12.2019 dauerhaft erkrankt.

Der Kläger hatte vor seinem Ausscheiden erstinstanzlich Feststellungsklage vor dem Arbeitsgericht Potsdam erhoben mit dem Antrag, festzustellen, dass dem Kläger aus dem Jahre 2015 noch 9 Urlaubstage, aus dem Jahre 2016 noch 30 Urlaubstage sowie aus dem Jahre 2017 weitere 30 Urlaubstage als Ersatzurlaub zustehen.

Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagte habe durch den Ausweis von 113 Urlaubstagen auf den Lohnabrechnungen bis einschließlich Januar 2019 die dort ausgewiesenen Urlaubstage anerkannt (Lohnabrechnung Januar 2016: 9 Urlaubstage für 2015 und 2.198,99 Euro ausgewiesen (Bl 176 GA), Lohnabrechnung Dezember 2016: 30 Urlaubstage für 2016 und 6.395,21 Euro brutto ausgewiesen (Bl 177 GA), Lohnabrechnung Dezember 2017: 30 Urlaubstage für 2017: 6.397,40 Euro brutto ausgewiesen (Bl 178 GA).

Im Übrigen sei auch der 15 Monate nach Ablauf des entsprechenden Urlaubsjahres wegen der Erkrankung des Klägers nicht gewährte Urlaub nicht verfallen, weil die Beklagte entgegen der neueren Rechtsprechung des EuGH vom 06.11.2018 - C-619/16 - und des BAG vom 19.02.2019 - 9 AZR 541/15 - einen ausreichenden Hinweis auf den Verfall von Urlaubsansprüchen am oder vor Ende der Kalenderjahre 2015, 2016 und 2017 gegenüber dem Kläger nicht erteilt habe. Bei einem entsprechenden Hinweis seitens der Beklagten wäre der Kläger in der Lage gewesen, bei dem behandelndem Arzt auf eine entsprechende Gesundschreibung zwecks Urlaubsnahme hinzuwirken und auch tatsächlich seinen Urlaub zu nehmen.

Das Arbeitsgericht Potsdam hat die Klage mit Urteil vom 14.11.2019 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass es auf die Frage, ob die Angabe der Urlaubstage in der Lohnabrechnung ein Schuldanerkenntnis der Beklagten darstelle oder nicht, im vorliegenden Fall nicht ankäme. Selbst wenn die Abrechnung auch bezüglich der Urlaubstage ein Schuldanerkenntnis enthalten würde, sei der Arbeitgeber gemäß der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht daran gehindert, sich auf das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu berufen (BAG, Urteil vom 10.03.1987, 8 AZR 610/84).

Einem Hinweis auf drohenden Verfall der Urlaubsansprüche im Sinne der neueren Rechtsprechung des EuGH und des BAG durch die Beklagte an den Kläger, dass der jeweilige Urlaub am Ende des jeweiligen Bezugszeitraumes oder Übertragungszeitraumes verfalle, wenn der Kläger ihn nicht nehme, habe es vorliegend nicht bedurft. Denn aufgrund der Regelung in § 9 BUrlG könne ein Arbeitnehmer nur dann im Sinne des Bundesurlaubsgesetzes Urlaub in Anspruch nehmen, wenn er "nicht arbeitsunfähig" sei. Der Argumentation des Klägers wäre insoweit allenfalls dann zu folgen gewesen, wenn er vorgetragen hätte, dass sich seine gesundheitliche Situation im Geltendmachungszeitraum tatsächlich so gestaltet hatte, dass er zumindest für einzelne Zeiträume seine Arbeitsfähigkeit wiedererlangen konnte. Hierauf sei trotz entsprechenden Hinweises des Gerichts keinerlei Sachvortrag durch den Kläger erfolgt. Nach der Rechtsprechung des BAG erlösche der Urlaubsanspruch aufgrund unionsrechtskonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 BUrlG nicht, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder eines Übertragungszeitraumes von drei Monaten nach diesem Zeitpunkt arbeitsunfähig erkrankt sei. Der Anspruch gehe jedoch auch bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf eines Übertragungszeitraumes von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres unter, so dass der Feststellungsantrag unbegründet sei.

Gegen dieses ihm am 31.01.2020 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit seiner am 12.02.2020 eingelegten und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 30.04.2020 am 29.04.2020 eing...

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