Entscheidungsstichwort (Thema)

Günstigkeitsprinzip. Sachgruppenvergleich

 

Leitsatz (amtlich)

Der Sachzusammenhang zwischen Stundenlohn und Zuschlägen für Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit wird durch eine Darstellung des Günstigkeitsprinzips im Tarifvertrag in der „konkrete Geldbeträge” beispielhaft neben „sonstige günstigere Arbeitsbedingungen” genannt werden, nicht aufgehoben.

 

Normenkette

TVG § 4 Abs. 3; ETV Wach- und Sicherheitsgewerbe § 2

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 20.01.2011; Aktenzeichen 2 Ca 1196/10)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 17.04.2013; Aktenzeichen 4 AZR 592/11)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des ArbG Frankfurt (Oder) vom 20.01.2011 – 2 Ca 1196/10 – im Kostenausspruch und insoweit geändert, wie die Beklagte zur Zahlung von 103,96 EUR nebst Zinsen verurteilt worden ist, und die Klage auch insoweit abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger steht aufgrund eines Arbeitsvertrags vom 6. Juni 2006 (Abl. Bl. 11 d.A.) als Wach- und Werkschutzkraft in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Er wird zur Bewachung von Objekten in Berlin eingesetzt. Der Stundenlohn des Klägers belief sich gemäß Nr. 3 des Arbeitsvertrags auf 4,74 EUR brutto. Unter Nr. 19 waren ein Nachtzuschlag von 7 %, ein Sonntagszuschlag von 35 % und ein Feiertagszuschlag von 75 % vereinbart.

Nach § 3 Nr. 2.1 des für allgemeinverbindlich erklärten Entgelttarifvertrags für das Wach- und Sicherheitsgewerbe Berlin und Brandenburg vom 9. Oktober 2009 (ETV) betrug der Stundenlohn für Sicherheitsmitarbeiter im Objektschutz in Berlin ab 1. November 2008 wie schon zuvor 5,50 EUR und ab 1. Januar 2010 6,25 EUR. Gemäß § 6 Abs. 1 ETV waren auf den Stundenlohn nach § 3 folgende Zuschläge zu zahlen:

ab 01.11.2009

ab 01.01.2010

Nachtzuschlag:

12 %

5 %

Sonntagszuschlag:

40 %

25 %

Feiertagszuschlag:

75 %

50 %

§ 2 Nr. 2 ETV sah unter der Überschrift „Tarifvorrang” vor, dass für alle Ansprüche der Arbeitnehmer, die diesen aufgrund schriftlicher Individualarbeitsvertragsregelung – in Form eines einheitlichen Arbeitsvertrages oder einer schriftlichen Ergänzung – hinsichtlich eines konkreten Geldbetrages, Urlaubsgewährung oder sonstiger günstigerer Arbeitsbedingungen gewährt würden, zu ihren Gunsten das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG gelte.

Das Arbeitsgericht Frankfurt (Oder) hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehende Klage verurteilt, an den Kläger für März und April 2010 die Differenz zwischen den von der Beklagten abgerechneten tariflichen und vom Kläger mit Schreiben vom 28. Juni 2010 verlangten arbeitsvertraglichen Zuschlägen in rechnerisch unstreitiger Höhe von 103,96 EUR brutto nebst Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, bei dem im Arbeitsvertrag geregelten Zuschlägen handele es sich um „sonstige günstigere Arbeitsbedingungen” i.S.d. § 2 Nr. 2 ETV. Durch die Angabe der Beispiele eines „konkreten Geldbetrages” und „Urlaubsgewährung” hätten die Tarifvertragsparteien klarstellen wollen, dass der sonst praktizierte Sachgruppenvergleich nicht gewollt sei. In Anbetracht der Kodifizierung des Günstigkeitsprinzip in § 4 Abs. 3 TVG hätte es einer Regelung wie der des § 2 Nr. 2 ETV gar nicht gedurft. Da die Zuschläge in Nr. 19 des Arbeitsvertrags unter der Überschrift „Besondere Vereinbarungen” und nicht zusammen mit dem Stundenlohn unter eine verbindenden Überschrift geregelt seien, bezögen sie sich auf den jeweiligen Stundenlohn des Klägers, der seit dem 1. Januar 2010 nach § 3 Nr. 2.1 ETV 6,25 EUR betrage.

Gegen dieses ihr am 25. Januar 2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 25. Februar 2011 eingelegte und am 26. April 2011 nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist begründete Berufung der Beklagten. Sie meint, für das Verständnis von § 2 Nr. 2 ETV sei auch dessen Überschrift „Tarifvorrang” zu berücksichtigen. Die im ETV vorgesehenen Zuschläge seien gerade auf die tariflichen Stundenlöhne nach § 3 zu zahlen. Diese seien in einem Maße erhöht worden, dass sich trotz der Absenkung der Zuschläge eine deutliche Einkommensverbesserung ergeben habe. So hätte der Kläger für März 2010 auf der Grundlage seines Arbeitsvertrags lediglich 1.342,94 EUR brutto verdient, während sie ihm nach dem ETV ausweislich der Abrechnung für diesen Monat (Abl. Bl. 148 d.A.) 1.736,26 EUR brutto gezahlt habe. Nr. 2 des § 2 ETV dürfe nicht isoliert betrachtet werden. Auch stellten die Zeitzuschläge keine Arbeitsbedingungen, sondern Arbeitsfolgen dar. Schließlich wären die Besitzstandsregelungen in § 11 ETV überflüssig, wenn die Tarifvertragsparteien den Beschäftigten ohnehin sämtliche Vorteile aus abweichenden arbeitsvertraglichen Vereinbarungen hätten erhalten wollen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Änderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Ausführungen im angefochtenen Urteil für zutreffend und meint, dem eindeutigen Wort...

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