Entscheidungsstichwort (Thema)

Informationspflicht des Arbeitgebers über die Möglichkeit eines prämienbegünstigten Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis nach Maßgabe der VV-Prämie Berlin. Widerspruch gegen Übergang des Arbeitsverhältnisses bei unzureichender Unterrichtung über die wirtschaftlichen Folgen des Betriebsübergangs. Informationspflicht des Arbeitgebers über prämienbegünstigtes Ausscheiden nach Maßgabe der VV-Prämie Berlin

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Geht der Betrieb, in dem die Arbeitnehmerin beschäftigt ist, im Sinne des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf eine neue Inhaberin über, kann die Arbeitnehmerin dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die Betriebserwerberin nach § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB innerhalb eines Monats nach der Unterrichtung über den Übergang widersprechen mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis zum Betriebsveräußerer fortbesteht.

2. Die einmonatige Widerspruchsfrist nach § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB wird durch eine ordnungsgemäße Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB in Lauf gesetzt; die Arbeitnehmerin soll durch die Unterrichtung eine ausreichende Wissensgrundlage für die Ausübung oder Nichtausübung ihres Widerspruchsrechts erhalten.

3. Die Unterrichtung ist unvollständig, wenn in dem Unterrichtungsschreiben nicht auf die Möglichkeit der Anwendung der Verwaltungsvorschrift über Prämien zur Realisierung von Personalkosteneinsparungen vom 20.12.2010 (VV-Prämie Bln) hingewiesen wird; bei der VV-Prämie Bln und der sich hieraus ergebenden Möglichkeit eines prämienbegünstigten Ausscheidens von Beschäftigten handelt es sich um eine mittelbare wirtschaftliche Folge (Sekundärfolge) des Betriebsübergangs, die von der Unterrichtungspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB umfasst ist.

4. Die VV-Prämie regelt unter den Voraussetzungen, dass unbefristet Beschäftigte des Landes, die das 40. Lebensjahr vollendet und das 64. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und gemäß § 1 Abs. 2 StellenpoolG Bln dem Personalüberhang zugeordnet und zum zentralen Personalüberhangmanagement (Stellenpool) versetzt wurden, auf deren schriftliche Antragstellung (§ 3 Abs. 2 VV-Prämie Bln) ein Angebot auf Ausscheiden gegen Zahlung einer Abfindung unterbreitet werden kann.

5. Bei der in § 1 Abs. 1 und 2 StellenpoolG Bln enthaltenen Regelung, nach der Dienstkräfte, deren Beschäftigung durch den Wegfall von Aufgaben oder die Verlagerung von Aufgaben auf andere Dienstkräfte in ihrer Dienstbehörde nicht mehr möglich ist, dem Personalüberhang zuzuordnen und zum zentralen Personalüberhangmanagement (Stellenpool) zu versetzen sind, handelt es sich um eine zwingende Regelung; eine Bestimmung, die es der Finanzverwaltung erlaubt, hiervon für die Zuordnung zum Überhang abweichende Verwaltungsvorschriften zu erlassen, enthält das Stellenpoolgesetz nicht, so dass weder für die Finanzverwaltung noch die Bezirksverwaltung die Möglichkeit besteht, nach Maßgabe des Haushaltwirtschaftsrundschreibens oder des Schreibens der Senatsverwaltung für Finanzen vom 16.09.2010 eine Zuordnung zum Personalüberhang entgegen der gesetzlichen Regelung zu verhindern.

6. Der Unterrichtungsverpflichtung des Landes steht nicht entgegen, dass ein Rechtsanspruch der Arbeitnehmerin auf ein prämienbegünstigtes Ausscheiden nach der VV-Prämie Bln nicht besteht; zur Wissensgrundlage für die Ausübung oder Nichtausübung des Widerspruchsrechts gehört auch die Kenntnis von Leistungen, auf die zwar ein Rechtsanspruch nicht besteht, zu denen der Arbeitgeber sich aber aus wirtschaftlich-fiskalischen Gründen nach einem von ihm aufgestellten Regelwerk (nach den dort genannten Voraussetzungen) freiwillig bereit erklärt hat.

 

Normenkette

BGB § 613 a Abs. 5, § 613a Abs. 6; StellenpoolG Berlin; BGB § 613 a Abs. 1 S. 1, § 613a Abs. 5 Nr. 4, Abs. 6 S. 1; StellenpoolG Berlin § 1 Abs. 1; StellenpoolG Berlin § 1 Abs. 2; VV-Prämie Berlin § 1 Abs. 1, 4, § 3 Abs. 2, 4; ZPO § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 27.02.2012; Aktenzeichen 58 Ca 894/12)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin - 58 Ca 894/12 - abgeändert. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über den 31.8.2014 hinaus fortbesteht.

II. Das beklagte Land hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses der Parteien nach einem Teilbetriebsübergang zum 1.09.2011, dem die Klägerin mit Schreiben 30.11.2011 widersprochen hat.

Die Klägerin war für das beklagte Land als Pflegehelferin in einer der Bezirksverwaltung des beklagten Landes zugeordneten Pflegeeinrichtung zu einem Bruttomonatseinkommen i. H. v. ca. 2.500,00 EUR im Monat tätig.

Zum 01.09.2011 übertrug das beklagte Land die Trägerschaft an den von ihm betriebenen Altenpflegeeinrichtungen auf die V. F. für Senioren GmbH und unterrichtete die Klägerin hierüber gemäß § 613a Abs. 5 BGB mit Schreiben vom 27. Juni 2011. Auf Seite 3 des Unterrichtungsschreibens heißt es u. a.:

"Widersprechen Sie dem Üb...

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