Entscheidungsstichwort (Thema)

Vergütungspflicht für häusliches Ankleiden bei fehlenden Möglichkeiten am Arbeitsplatz. Vergütungspflicht notwendiger Umwegezeiten. Ausreichende Umkleidezeiten von fünf Minuten vor und nach der Schicht. Feststellungsinteresse bei vorhandenem Gegenwartsbezug auch nach Renteneintritt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das An- und Ablegen einer Dienstuniform zu Hause ist auch dann als fremdnützig und damit als Arbeitszeit anzusehen, wenn der Arbeitgeber es zwar freistellt, die Dienstuniform zu Hause an und abzulegen und auf dem Weg zur Arbeit zu tragen, er aber am Einsatzort keine zumutbaren Umkleidemöglichkeiten bereitstellt (So bereits LAG Berlin-Brandenburg vom 21.08.2019 - 15 Sa 575/19)

2. Der Weg von zu Hause zur Arbeitsstelle ist auch dann keine vergütungspflichtige Arbeitszeit, wenn dieser in Uniform zurückgelegt wird, weil am Einsatzort keine zumutbaren Umkleidemöglichkeiten bestehen.

3. Umwegezeiten, die notwendig sind, um die Dienstwaffe aus einem vom Arbeitgeber zugewiesenen Waffenschließfach zu entnehmen, stellen vergütungspflichtige Arbeitszeit dar.

 

Normenkette

BGB § 611a; ZPO § 256

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 08.08.2019; Aktenzeichen 21 Ca 14447/17)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 13.10.2021; Aktenzeichen 5 AZR 55/20)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers und die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 08. August 2018, 21 Ca 14447/17 - unter Zurückweisung der Berufungen im Übrigen - teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt gefasst:

1. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, die von dem Kläger in der Zeit vom 01. Mai 2016 bis 02. Juni 2018 an Tagen, an denen er tatsächlich gearbeitet hat und am Einsatzort Fraenkelufer 10-12 in 10999 Berlin eingesetzt wurde, zusätzlich erbrachte Arbeitszeit für das An- und Ablegen der Dienstuniform (Umkleiden) und für das Auf- und Abrüsten mit den dem Kläger persönlich zugewiesenen Ausrüstungsgegenständen (Rüsten) im häuslichen Bereich im Umfang von fünf Minuten vor dem offiziellen Dienstbeginn und im Umfang von fünf Minuten nach dem offiziellen Dienstende nach Maßgabe der tariflichen Vorschriften nach der Entgeltgruppe 5 Stufe 4 (W) zu vergüten.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, die vom Kläger in der Zeit vom 01. Mai 2017 bis 02. Juni 2018 an den Tagen, an denen er tatsächlich gearbeitet hat, für den Beklagten erbrachte zusätzliche Arbeitszeit für das Zurücklegen von zusätzlichen Wegezeiten für den Umweg zum dienstlichen Waffenschließfach im Umfang von insgesamt 12 Minuten reiner Fahrtzeit (bestehend aus sechs Minuten vor dem offiziellen Dienstbeginn und sechs Minuten nach dem offiziellen Dienstende) sowie für das tatsächliche Aufsuchen des Waffenschließfachs, das Laden und Entladen sowie das Anlegen und Ablegen der Dienstwaffe im Umfang von insgesamt 10 Minuten (bestehend aus fünf Minuten vor dem offiziellen Dienstbeginn und fünf Minuten nach dem offiziellen Dienstende), nach Maßgabe der tariflichen Vorschriften des TV-L nach der Entgeltgruppe 5 Stufe 4 (w) des TV-L zu vergüten.

3. Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 57,20 EUR (siebenundfünfzig 20/100) brutto zu zahlen.

4. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Die Revision wird für den Kläger hinsichtlich der Abweisung des Antrags zu 2 (Wegezeiten) und für die Beklagte hinsichtlich des Klageantrags zu 2 a (Umwegezeiten zum Waffenschließfach und An- bzw. Ablegen der Dienstwaffe) zugelassen.

Im Übrigen wird sie nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten zuletzt noch über die Vergütung von Umkleide- Rüst- und Wegezeiten, die Berechnung des Urlaubs- und Zusatzurlaubsanspruchs im Wechselschichtdienst sowie die Berechnung des Ausgleichs dienstfreier Zeiten an Feiertagen.

Der am 02.04.1955 geborene Kläger war beim beklagten Land auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages (Bl. 63 d.A.), der die für das Land Berlin geltenden Tarifverträge in Bezug nimmt, vom 01.10.1995 bis zu seinem Renteneintritt zum 01.11.2018 als Wachpolizist im Zentralen Objektschutz in Vollzeit gegen ein monatliches Bruttoentgelt nach der Entgeltgruppe 5, Stufe 6+ (W) TV-L in Höhe von zuletzt 3.116,79 Euro tätig. Von Anfang Juli 2018 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt.

Der Kläger wurde als Basiskraft zum Schutz der Synagoge Fraenkelufer 10-12 in 10999 Berlin eingesetzt. Dort steht den Beschäftigten ein Wachcontainer mit Spinden (ca 1,50 m hoch und ca 0,30 cm breit), einem Kühlschrank, zwei Schreibtischen und zwei Bürostühlen zur Verfügung, der zum kurzfristigen Aufenthalt und dem Verzehr mitgebrachter Speisen genutzt wird.

Der Kläger übt seine Tätigkeit als Wachschützer auf Weisung des beklagten Landes in der ihm zur Verfügung gestellten Dienstuniform und persönlichen Schutzausrüstung aus, deren Bestandteile zwischen den Parteien unstreitig sind. Auf der Oberbekleidung der Uniform ist in weißer Schrift...

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