Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflicht zur Signatur durch verantwortliche Person. Einfache elektronische Signatur wahrt Dreiwochenfrist nicht. Vorwerfbarkeit des Verhaltens bei Kündigung wegen Störung des Betriebsfriedens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Gemäß § 4 Absatz 2 ERVV ist eine elektronische Signatur unzulässig, mit der mehrere elektronische Dokumente gemeinsam signiert werden, auch wenn die Signatur an einem elektronischen Nachrichtencontainer angebracht ist, welcher im Anhang nur eine als elektronisches Dokument eingereichte Klageschrift enthält. Eine als derart signiertes elektronisches Dokument eingereichte Kündigungsschutzklage wahrt die Klagefrist des § 4 KSchG nicht.

2. Die in § 5 Absatz 3 Satz 2 KSchG enthaltene Sechs-Monats-Frist steht der nachträglichen Zulassung der Kündigungsschutzklage nach ihrem Ablauf nicht entgegen, wenn das Arbeitsgericht dem Verfahren Fortgang gibt und damit bis über den Ablauf der Sechs-Monats-Frist hinaus zu erkennen gegeben hat, es wolle in der Sache entscheiden.

3. Ist der Rechtsstreit bereits in der Berufungsinstanz anhängig, so ist der Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage gemäß § 5 Abs. 5 Satz 1 KSchG beim Landesarbeitsgericht zu stellen und mit der nachgeholten Erhebung der formgerechten Kündigungsschutzklage zu verbinden.

4. Unterbleibt ein gebotener Hinweis des Arbeitsgerichts auf die unzulässige Signatur, ist die Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen, wenn der Hinweis bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang so rechtzeitig hätte erfolgen müssen, dass der Partei noch die Fristwahrung möglich gewesen wäre.

5. Zur Verletzung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht durch gehäuftes Schreiben von E-Mails an Vorgesetzte und Arbeitskollegen in einem Call Center (hier verneint).

 

Normenkette

KSchG § 5 Abs. 3 S. 2, § 1 Abs. 2; ERVV § 4; ArbGG § 46c Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 05.12.2018; Aktenzeichen 56 Ca 4481/18)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 30.07.2020; Aktenzeichen 2 AZR 43/20)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 05.12.2018, 56 Ca 4481/18, wird unter nachträglicher Zulassung der Kündigungsschutzklage auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses.

Die fünfundvierzigjährige Klägerin, eine Facharbeiterin für Schreibtechnik mit Praxiserfahrungen in Rechtsanwaltskanzleien, ist seit dem 01.09.2009 bei der Beklagten als CallCenter-Agentin beschäftigt, zuletzt nach Maßgabe des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 16.08.2011 (Bl. 5 ff d. A.) bei einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von 2.717,00 EUR. Sie arbeitet in einem Großraumbüro. Die künstliche Beleuchtung wird dort eingeschaltet, wenn die Räumlichkeiten von den Mitarbeitenden, im Zweifel von der Mehrheit, als zu dunkel empfunden werden. Nur der mittlere von drei Beleuchtungssträngen wird nie beleuchtet, bestimmte Mitarbeiter haben ein Veto-Recht. Die Fenster des Großraumbüros der Beklagten werden zu Zwecken der Belüftung in bestimmten Abständen und mit bestimmter Dauer geöffnet. Hinsichtlich des jeweiligen Arbeitsplatzes gilt grundsätzlich ein wöchentliches Rotationsprinzip, Wünsche dürfen geäußert werden und werden berücksichtigt. Eine Betriebsärztin führt in regelmäßigen Abständen Augenuntersuchungen durch. Als internes Kommunikationsmittel ist neben der direkten Ansprache auch die E-Mail erlaubt.

Mit Schreiben vom 04.06.2012 (Bl. 107 d. A.) rügte die Beklagte, die Klägerin habe die fristgerechte Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung versäumt und verlangte mit Schreiben vom 29.04.2014 (Bl. 108 d. A.) von der Klägerin, fortan bereits ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Mit Schreiben vom 08.12.2016 (Bl. 88 f d. A.) erteilte die Beklagte der Klägerin eine Abmahnung wegen ihrer Weigerung, an einer Outbound-Aktion zur Kundenrückgewinnung teilzunehmen.

Im Zeitraum vom 03.08.2017 bis 23.11.2017 richtete die Klägerin insgesamt 30 E-Mails an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beklagten, wegen deren Inhalts auf die tabellarische Auflistung auf Seiten 7 bis 9 des Schriftsatzes der Beklagten vom 04.06.2018 (Bl. 40 - 42 d. A.) sowie auf Anlage B 7 zu diesem Schriftsatz (Bl. 109 - 155 d. A.) verwiesen wird. Mit Schreiben vom 23.11.2017 (Bl. 101 f d. A.) erteilte die Beklagte der Klägerin eine Abmahnung mit dem Inhalt, sie habe mit E-Mails vom 20.10.2017, 25.10.2017 und 27.10.2017 unangemessen auf Kolleginnen und Kollegen eingewirkt und dadurch ihre Rücksichtnahmepflicht verletzt.

Im Zeitraum vom 02.01.2018 bis 06.02.2018 richtete die Klägerin insgesamt 33 E-Mails an eine Gruppenleiterin, eine Referentin und einen weiteren Mitarbeiter, wegen deren Inhalts auf die tabellarische Auflistung auf Seiten 4 bis 17 des Schriftsatzes der Beklagten vom 13.03.2019 (Bl. 336 - 349 d. A.) verwiesen wird.

Mit am 28.02.2018 zu...

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