Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristwidrige außerordentliche Kündigung eines ehemaligen Mitgliedes der Personalvertretung bei unterlassenem Hinweis des Gekündigten auf das Ende seiner Amtszeit. Arbeitgeberpflicht zur unverzüglichen Kündigung nach Ausscheiden des Arbeitnehmers aus der Personalvertretung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der öffentliche Arbeitgeber darf nach § 108 Abs. 1 BPersVG ein Mitglied einer Personalvertretung nur außerordentlich kündigen, wenn das Gremium der Kündigung zugestimmt hat oder die Zustimmung gerichtlich ersetzt worden ist. Bis dahin ist er rechtlich gehindert, die Kündigung auszusprechen. Kann er deshalb nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB kündigen, muss er in analoger Anwendung des § 91 Abs. 5 SGB IX die Kündigung u. a. dann unverzüglich erklären, wenn das Zustimmungserfordernis durch das Ausscheiden des Personalvertretungsmitgliedes aus dem Gremium nachträglich entfällt. Die formale Beendigung des Zustimmungsersetzungsverfahrens darf er nicht abwarten. Kündigt der Arbeitgeber nicht unverzüglich, ist die Kündigung wegen Versäumung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB unwirksam.

2. Unverzüglich bedeutet, dass die Kündigung innerhalb kurzer Zeit, nachdem der Arbeitgeber von dem Ausscheiden des Mitgliedes aus der Personalvertretung Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen, erklärt werden muss.

3. Eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht, den Arbeitgeber auf das Ausscheiden aus dem Gremium ausdrücklich hinzuweisen, besteht jedenfalls dann nicht, wenn der Arbeitgeber schon auf andere Weise davon Kenntnis haben müsste.

4. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber irrtümlich vom Fortbestand der Mitgliedschaft in der Personalvertretung ausgeht. Von dem ehemaligen Mitglied kann ebenso wenig wie sonst von Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmern erwartet werden, dass es entgegen seinem Willen an der Beendigung des eigenen Arbeitsverhältnisses mitwirkt.

5. Kündigt der Arbeitgeber nicht rechtzeitig, ist die Berufung auf die Versäumung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB auch dann nicht treuwidrig, wenn das ehemalige Mitglied der Personalvertretung versäumt hat, im Zustimmungsersetzungsverfahren anzugeben, dass es nicht mehr Mitglied des Gremiums ist.

6. Zweck der sich aus § 83 Abs. 1 Satz 2 ArbGG i. V. m. § 91 Abs. 2 PersVG Berlin ergebenden Pflicht, an der Aufklärung des Sachverhalts im gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahren mitzuwirken, ist es nicht, dem Arbeitgeber zu ermöglichen, nach dem Wegfall des Zustimmungserfordernisses unverzüglich zu kündigen.

 

Normenkette

BGB § 241 Abs. 2, §§ 242, 626 Abs. 2; SGB IX § 91 Abs. 5; BPersVG § 108 Abs. 1; PersVG Berlin § 91 Abs. 2; ArbGG § 83 Abs. 1 S. 2; BGB § 121 Abs. 1 S. 1; BPersVG § 108 Abs. 1 S. 1; SGB IX § 91 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 21.11.2013; Aktenzeichen 33 Ca 9783/13)

 

Tenor

I. Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. November 2013 - 33 Ca 9783/13 - wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten der Berufung hat das beklagte Land zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Tatkündigung wegen Bestechlichkeit und Verstoßes gegen die Grundsätze der Vorschriften über die "Annahme von Belohnungen und Geschenken durch Dienstkräfte des Landes Berlin".

Die 1963 geborene, einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte, verheiratete und für zwei Kinder unterhaltspflichtige Klägerin ist seit dem 20. Februar 1990 bei dem beklagten Land bzw. dessen Rechtsvorgänger und dort beim Bezirksamt M. von Berlin gegen eine monatliche Bruttovergütung von zuletzt 4.650,00 Euro als Bibliothekarin beschäftigt. Seit Dezember 2004 war sie Mitglied des bei dem beklagten Land gebildeten Hauptpersonalrats und zeitweilig freigestellt. Zum 1. Juli 2008 wurde ihr die Leitung des Fachbereichs Bibliotheken in der Abteilung Jugend und Familie, Weiterbildung und Kultur des Bezirksamts übertragen, zu dem auch die M.-T.-Bibliothek gehört.

Im August 2008 lieferte die Firma S. an die M.-T.-Bibliothek ein Laminiergerät zu Testzwecken. In der Folgezeit veranlasste die Klägerin die Anschaffung des Laminiergeräts nebst 1.200 Laminierfolien sowie eine Nachbestellung von weiteren 1.300 Laminierfolien. Die Einzelheiten, insbesondere ob die Klägerin im Zusammenhang mit der Nachbestellung einen Geschenkgutschein der Firma Douglas in Höhe von 50 Euro erhielt, sind zwischen den Parteien streitig.

Unter dem 25. Mai 2010 informierte die Staatsanwaltschaft Berlin das beklagte Land über ein Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin wegen des Verdachts der Vorteilsnahme bzw. Bestechlichkeit. Daraufhin führte das Bezirksamt mit der Klägerin am 7. Juli 2010 ein Gespräch. Die Klägerin erklärte, sie habe von der Firma S. keinen Gutschein erhalten. Sie habe Kontakt mit einem Vertreter der Firma gehabt. Dieser habe ihr ein besonderes Angebot für die Folien unterbreitet, aber keine Zuwendung angeboten. Wegen der Einzelheiten wird auf den Gesprächsver...

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