Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitbestimmung des Betriebsrats bei betrieblichen Regelungen des Gesundheitsschutzes aufgrund öffentlich-rechtlicher Rahmenvorschriften und gesetzlicher Generalklauseln zum Gesundheitsschutz. Teilweise unwirksamer Einigungsstellenspruch zu akuten Maßnahmen des Gesundheitsschutzes im Einzelhandel

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG setzt ein, wenn der Arbeitgeber aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Rahmenvorschrift betriebliche Regelungen zu treffen hat und ihm bei der Gestaltung Handlungsspielräume verbleiben (BAG, Beschluss vom 11.12.2012 - 1 ABR 81/11 - AP Nr. 19 zu § 87 BetrVG 1972 Gesundheitsschutz).

2. Sehr weit gefasste gesetzliche Generalklauseln zum Gesundheitsschutz (z.B. § 3 Abs. 1 ArbSchG, § 3 a Abs. 1 Satz 1 ArbStättV) eröffnen ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nur, sofern eine unmittelbare objektive Gesundheitsgefahr vorliegt oder eine zum Gesundheitsschutz durchgeführte Gefährdungsbeurteilung (z.B. § 5 ArbSchG) einen Handlungsbedarf ergibt.

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 7

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 27.05.2014; Aktenzeichen 34 BV 1743/14)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 28.03.2017; Aktenzeichen 1 ABR 25/15)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 27.05.2014 - 34 BV 1743/14 - teilweise geändert:

Es wird festgestellt, dass der Teilspruch der Einigungsstelle Arbeits- und Gesundheitsschutz vom 16.01.2014 "Akute Maßnahmen des Gesundheitsschutzes" mit Ausnahme folgender Regelungen unwirksam ist:

Nr. 2 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2,

Nr. 4 Abs. 3,

Nr. 5 Abs. 1, wobei die Worte "sowie zwei ergonomischen Büroschreibtischstühlen" entfallen.

II. Im Übrigen wird die Beschwerde der Beteiligten zu 1. zurückgewiesen.

III. Die Rechtsbeschwerden der Beteiligten werden zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs.

Die Arbeitgeberin, ein Unternehmen des Einzelhandels, betreibt in Berlin ihre Filiale 720 Gesundbrunnencenter, für die der beteiligte Betriebsrat gewählt worden ist. Die Beteiligten einigten sich auf die Bildung einer Einigungsstelle zur umfassenden Erledigung aller Themen des Gesundheitsschutzes. Durch Teilspruch der Einigungsstelle vom 16.01.2014 kam es zu einer "Betriebsvereinbarung über akute Maßnahmen des Gesundheitsschutzes" mit folgendem Inhalt:

1. Einarbeitung

(1) Nach Rückkehr von Beschäftigten nach Abwesenheiten von einer Woche oder mehr sind diese von einer Führungskraft bei Wiederaufnahme ihrer Arbeit über etwaige Neuerungen oder Veränderungen in der Abteilung und der Filiale zu informieren. Die Information umfasst je nach Anfall Veränderungen z.B. bezüglich Inventur- und Sicherheitsprioritäten, Kassenroutinen, Rabatt- und andere Aktionen, Kampagnen, nicht gespeicherte Preisreduzierungen, Brandschutz und Sicherheit und welche Bedeutung diese Veränderungen für die Beschäftigten haben. In der Zeit der Unterweisung sind die Führungskraft und die Beschäftigten von anderen Aufgaben freizustellen.

(2) Neu eingestellte Beschäftigte erhalten bei der Aufnahme ihrer Arbeit am ersten Tag eine Information und Einarbeitung von dafür geschulten Personen (z.B. Patenverkäufer), mindestens im Umfang von Absatz 1. Die Patenverkäufer, die die neuen Beschäftigten einarbeiten, sind während der Einarbeitung so einzusetzen, dass sie diese ohne überobligatorische Inanspruchnahme durchführen können.

(3) Sogenannte Unterstützer (tageweise Einstellung) aus anderen Betrieben des Unternehmens erhalten zu Beginn ihrer Tätigkeit in der hiesigen Filiale einen Sicherheitsrundgang sowie eine Unterweisung in die betriebsüblichen Abläufe und Ansprechpartner (z.B. Führungskräfte, Pausenzeiten, Räumlichkeiten, relevante Regelungen in Betriebsvereinbarungen). Die Zeit für diese Unterweisung ist bei der konkreten Tagesplanung zu berücksichtigen.

2. Stehende Tätigkeiten

(1) Mitarbeiter dürfen maximal 4 Stunden pro Schicht eine stehende Tätigkeit ausführen. Die Arbeit an der Kasse, bei der Anprobe sowie am Lagertisch ist so zu organisieren, dass eine Rotation zwischen Steharbeit und bewegender Arbeit stattfindet.

(2) In den in Absatz 1 genannten Bereichen hat jeweils mindestens eine Stehhilfe mit drehbarem Sitz und Sitzneigeverstellung mit einer Höhenverstellbarkeit mittels Gasfeder mindestens im Bereich von 620-890 mm und mit Bodengleitern versehenen Füßen für die dort eingesetzten Beschäftigten zur Verfügung zu stehen. Für das Lager und die Kassenblöcke ist jeweils mindestens eine weitere Stehhilfe zur Verfügung zu stellen.

3. Arbeiten im Dekoraum und in den Schaufenstern

(1) Für den Transport von Torsen und Vollfiguren ist ein Hubplattformwagen Doppelschere mit mindestens zwei Lenkrädern und Stoppfunktion sowie einer Hubhöhe mindestens bis 1200 mm und einer Anhebung mindestens durch ein Pumppedal einzusetzen.

(2) Auf jeder Etage ist für Visual Merchandiser ein rollender Werkzeugkasten mit einer Griffhöhe von ca. 82 cm (beispielsweis...

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