Entscheidungsstichwort (Thema)

Unverhältnismäßige Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung wegen unterlassener Mitteilung geänderter Anschrift der anwaltlich vertretenen Partei

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ist eine Prozesskostenhilfepartei anwaltlich vertreten, besteht für eine unverzügliche Mitteilung einer geänderten Anschrift an das Gericht kein Bedürfnis. Es spricht deshalb viel dafür, dass § 120a Abs. 2 Satz 1, 2. Alt. ZPO im Wege einer teleologischen Reduktion dahin einschränkend auszulegen ist, dass die Verpflichtung zur unverzüglichen Mitteilung einer Anschriftenänderung nur für die nicht anwaltlich vertretene Prozesskostenhilfepartei gilt.

2. Jedenfalls ist in einem solchen Fall die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO allein wegen der unterlassenen Mitteilung der geänderten Anschrift regelmäßig unverhältnismäßig und deshalb im Rahmen des gebundenen Ermessens als unangemessen anzusehen.

 

Normenkette

ArbGG § 11a Abs. 1; ZPO § 120a Abs. 2 S. 1 Alt. 2, § 124 Abs. 1 Nr. 4, § 172 Abs. 1 S. 1, § 329 Abs. 2 S. 2; GG Art. 103 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Neuruppin (Entscheidung vom 28.04.2015; Aktenzeichen 3 Ca 317/14)

 

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der früheren Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Neuruppin vom 28. April 2015 - 3 Ca 317/14-aufgehoben.

II. Die Sache wird zur Prüfung und Entscheidung im Überprüfungsverfahren nach § 120a Abs. 1 ZPO an das Arbeitsgericht Neuruppin zurückverwiesen.

 

Gründe

I. In dem Beschwerdeverfahren wendet sich die frühere Klägerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Klägerin) gegen die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Im Ausgangsverfahren vor dem Arbeitsgericht Neuruppin beantragte die Klägerin am 4. März 2014 durch ihre damalige Prozessbevollmächtigte zeitgleich mit der Erhebung der Klage die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Die von der Klägerin am 25. Februar 2014 unterzeichnete Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse enthält u. a. folgende Erklärung:

"Mir ist (...) bekannt, dass ich während des Gerichtsverfahrens und vier Jahre über dessen Beendigung hinaus verpflichtet bin, dem Gericht wesentliche Verbesserungen meiner wirtschaftlichen Lage oder eine Änderung meiner Anschrift unaufgefordert und unverzüglich mitzuteilen, und dass bei einem Verstoß gegen diese Pflicht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufgehoben werden kann."

Mit Beschluss vom 14. März 2014 gab das Arbeitsgericht dem Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin ohne Ratenzahlungsbestimmung statt.

Mit der Klägerin unmittelbar übersandtem Schreiben vom 31. März 2015 forderte das Arbeitsgericht die Klägerin nach § 120a Abs. 1 Satz 3 ZPO auf, sich innerhalb einer Frist von zwei Wochen schriftlich über Änderungen in ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu erklären. Das Schreiben kam mit dem postalischen Vermerk "Empfänger nicht ermittelbar - kein Eintrag Umzugsdatei der DPAG" zurück. Daraufhin stellte das Arbeitsgericht eine Anfrage an das für die bisherige Anschrift der Klägerin zuständige Einwohnermeldeamt und erhielt am 28. April 2014 die Mitteilung, dass die Klägerin seit dem 1. Dezember 2014 eine neue Anschrift habe. Mit Beschluss von demselben Tag hob das Arbeitsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung auf, die Klägerin habe dem Gericht die Änderung ihrer Anschrift nicht unverzüglich angezeigt.

Mit am 27. Mai 2015 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 26. Mai 2015 hat die Klägerin gegen diesen ihr zu Händen ihrer Prozessbevollmächtigten am 30. April 2015 zustellten Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt und am 28. Mai 2015 zusammen mit dem Original der Beschwerdeschrift eine aktuelle Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Nachweisen eingereicht. Nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO sei die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufzuheben, wenn die Partei wesentliche Verbesserungen der Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen der Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt habe. Ein solcher Fall liege aber nicht vor. Zwar hätten sich ihre Anschrift und ihre Einkommensverhältnisse geändert. Dies habe jedoch nicht zu einer wesentlichen Verbesserung der Vermögenslage geführt. Sie sei nach wie vor nicht in der Lage, aus ihren Einkünften einen Beitrag zu den Prozesskosten zu leisten. Mit Beschluss vom 27. Mai 2015 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe eingeräumt, dass sich ihre Anschrift geändert habe. Nach § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO sei eine Anschriftenänderung dem Gericht unverzüglich mitzuteilen. Hierüber sei die Klägerin in der Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlich Verhältnisses auch belehrt worden. Die unverzügliche Mitteilung der Anschriftenänderung sei jedoch unterblieben.

II. Die sofortige Beschwerde der Klägerin hat Erfolg. Nach § 11a Abs. 1 A...

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