Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Frage der Nachwirkung einer Gesamtbetriebsvereinbarung Altersteilzeit. Auslegung der GBV Erweiterte Mitbestimmung. ver.di. Nachwirkung einer Gesamtvertriebsvereinbarung zur Regelung der Altersteilzeit für die Beschäftigten der Gewerkschaft Verdi

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach Ablauf einer Betriebsvereinbarung (hier: durch Kündigung) gelten ihre Regelungen in Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden (§ 77 Abs. 6 BetrVG). Diese Voraussetzung ist hinsichtlich der GBV-Altersteilzeit für die Beschäftigten der Gewerkschaft Verdi nicht gegeben.

2. Die Regelung der GBV-Altersteilzeit unterliegen nicht der erweiterten Mitbestimmung, so dass eine fehlende Einigung der Beteiligten nicht durch eine Entscheidung der Einigungsstelle ersetzt werden kann.

3. Eine Altersteilzeitvereinbarung ist zwingend mit der Gewährung freiwilliger sozialer Leistungen des Arbeitgebers in Form von Aufstockungsleistungen verbunden, was nicht der erweiterten Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt. Dies führt insgesamt zu einem Ausschluss der erweiterten Mitbestimmung für Regelungen der Altersteilzeit durch die Betriebsparteien.

 

Normenkette

BetrVG § 77 Abs. 6

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 14.09.2011; Aktenzeichen 56 BV 4267/11)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 10.12.2013; Aktenzeichen 1 ABR 39/12)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 14.09.2011 - 56 BV 4267/11 - geändert:

Die Anträge werden zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1) wird zugelassen.

 

Gründe

A. Die V. D. (ver.di) und der bei ihr gebildete Gesamtbetriebsrat streiten über die Nachwirkung einer Gesamtbetriebsvereinbarung zur Regelung der Altersteilzeit vom November 2006 (GBV-Altersteilzeit) sowie über die Frage, ob und ggf. auf welche Weise der Gesamtbetriebsrat eine Neuregelung zur Altersteilzeit erzwingen kann.

Die Gründungsgewerkschaften und die Gründungsorganisation der v. schlossen mit den Gesamtbetriebsräten der Gründungsgewerkschaften im April 2001 eine "Vereinbarung zur Erweiterten Mitbestimmung für Betriebsräte in v." (GBV EM). Der Betriebsrat hat nach § 4 Abs. 1 GBV EM in allen personellen und sozialen Angelegenheiten über das Betriebsverfassungsgesetz hinaus erweitert mitzubestimmen, sofern nicht näher bestimmte Regelungen - z.B. die Entscheidung über die Gewährung freiwilliger sozialer Leistungen - von dieser Mitbestimmung ausgenommen sind; kommt eine Einigung nicht zustande, entscheidet nach Maßgabe des § 5 GBV EM die Einigungsstelle. Für Regelungen, die üblicherweise unter den Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG fallen und durch entsprechende Tarifverträge geregelt werden (tarifersetzende Regelungen), sieht § 8 GBV EM ein näher geregeltes Vermittlungs- und Schlichtungsverfahren vor. Wegen der Einzelheiten der GBV EM wird auf Bl. 21 bis 30 der Akten verwiesen.

Die Beteiligten vereinbarten im November 2006 die GBV-Altersteilzeit (Kopie Bl. 31 ff. d.A.), ohne ein Verfahren nach der GBV EM durchzuführen. Mit Schreiben vom 14. September 2010 kündigte v. die GBV-Altersteilzeit zum 31. Dezember 2010 und lehnte eine vom Gesamtbetriebsrat beanspruchte Nachwirkung sowie Verhandlungen über eine neue - tarifersetzende - Regelung ab.

Der Gesamtbetriebsrat hat mit dem vorliegenden Beschlussverfahren ver.di auf weitere Durchführung der GBV-Altersteilzeit in Anspruch genommen. Die Regelungen seien Gegenstand der zwingenden Mitbestimmung und wirkten daher - was gerichtlich festgestellt werden solle - nach. Es handele sich um tarifersetzende Regelungen im Sinne des § 8 GBV EM, was ein - ebenfalls festzustellendes - Mitbestimmungsrecht begründe. V. ist den Anträgen entgegengetreten. Sie hat dabei die Auffassung vertreten, Regelungen zur Altersteilzeit unterlägen nicht der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats; das Verfahren nach § 8 GBV EM finde keine Anwendung.

Das Arbeitsgericht hat v. durch einen am 14. September 2011 verkündeten Beschluss verpflichtet, ihren Arbeitnehmern Altersteilzeit im Rahmen einer Nachwirkung der GBV-Altersteilzeit zu gewähren. Es hat ferner festgestellt, dass die GBV-Altersteilzeit nachwirke und dem Gesamtbetriebsrat ein Mitwirkungsrecht nach § 8 GBV EM bezüglich einer tarifersetzenden Regelung der Altersteilzeit zustehe. Regelungen zur Altersteilzeit gehörten zu den personellen Angelegenheiten, für die § 4 GBV EM eine zwingende Mitbestimmung des Betriebsrats vorsehe. Die im Zusammenhang mit einer Altersteilzeit zu zahlenden Aufstockungsbeiträge des Arbeitgebers stellten zwar freiwillige soziale Leistungen dar; da aber eine Altersteilzeitbefristung eine erzwingbare personelle Angelegenheit darstelle, gelte dies auch für die Aufstockungsbeiträge, ohne die eine Altersteilzeit nicht denkbar sei. Eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur Altersteilzeit habe eine tarifersetzende Funktion, so dass für eine...

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