Entscheidungsstichwort (Thema)

Vergleichsmehrwert nur bei Streit über Ob und Wie eines Zeugnisanspruches. Vergleichsmehrwert bei künftiger Streitvermeidung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Stand eine betriebsbedingte Kündigung im Streit oder fehlen Angaben über die Kündigungsgründe, bedarf es zur Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts für eine Zeugnisregelung regelmäßig näherer Angaben, aus denen ein im Zeitpunkt des Vergleichs bestehender Streit bzw. eine Ungewissheit über den Zeugnisanspruch geschlossen werden kann (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 22. Mai 2018 - 26 Ta (Kost) 6036/18; 8. März 2017 - 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 4).

2. Streit bzw. Ungewissheit können aus einem vorgerichtlichen Streit über die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte resultieren. Hier kamen konkrete Vereinbarungen zum Zeugnisinhalt mit der Festlegung von Noten hinzu. Außerdem enthält die Vereinbarung die Angabe eines Kündigungsgrundes (betriebsbedingte Kündigung) im Zeugnis.

 

Normenkette

RVG-VV Nr. 1000; RVG § 33 Abs. 9

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 03.06.2020; Aktenzeichen 36 Ca 1279/20)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 3. Juni 2020 - 36 Ca 1279/20 - abgeändert und ein Vergleichsmehrwert in Höhe von 11.176,98 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Klägervertreterinnen machen mit der Beschwerde die Festsetzung eines höheren Vergleichsmehrwerts geltend. Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer Kündigung. Der Kläger war bei der Beklagten zu einem Bruttoeinkommen in Höhe von 5.588,49 € beschäftigt. Die Beklagte mahnte den Kläger mit Schreiben vom 8. August 2019 ab. Hiergegen wandte er sich mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 9. Dezember 2019. Mit Schreiben vom 27. Januar 2020 kündigte die Beklagte dem Kläger.

Am 18. März 2020 hat das Arbeitsgericht einen Vergleich festgestellt, in dem sich die Parteien auf eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung zum 31. Juli 2020 einigten.

Darin heißt es unter Nr. 5:

"Die Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger unter dem Datum der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein wohlwollendes qualifiziertes Endzeugnis zu erteilen. Dabei ist das Zeugnis so auszugestalten, dass es eine gute Leitungs- und sehr gute Verhaltensbeurteilung sowie eine der Leistungsbeurteilung entsprechende Bedauerns-, Dankes- und Zukunftswunschformel enthält. Als Beendigungsgrund werden betriebsbedingte Gründe im Sinne eines Wegfalls des Arbeitsplatzes aufgrund betrieblicher Umstrukturierungen gem. Ziff. 1 angegeben. Das Zeugnis ist dem Kläger ....

Die in der Abmahnung vom 8. August 2019 erhobenen Vorwürfe werden nicht aufrechterhalten. Die Beklagte wird hieraus keine Rechte mehr geltend machen.

Die Parteien erklären, dass sie gegenüber Dritten keine negativen Äußerungen über die jeweils andere Partei tätigen werden."

Bei der Festsetzung des Gegenstandswertes hat das Arbeitsgericht den Ansatz eines Vergleichsmehrwerts abgelehnt. Wegen der Einigungen über das Zeugnis und die Abmahnung könne eine Berücksichtigung nicht erfolgen, weil insoweit kein Streit und auch keine Ungewissheit beseitigt worden seien.

Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben gegen den ihnen am 9. Juni 2020 zugestellten Beschluss mit einem am 22. Juni 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Zur Begründung berufen sie sich auf einen vorgerichtlichen Schriftverkehr (Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 9. Dezember 2019), mit dem bereits die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte des Klägers geltend gemacht worden ist.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 23. Juni 2020 nicht abgeholfen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Regelungen unter Nr. 5 des Vergleichs haben einen Vergleichsmehrwert in dem im Tenor festgesetzten Umfang bewirkt.

1) Die anwaltliche Einigungsgebühr entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Nr. 1000 Abs. 1 der Anlage 1 zum RVG). In den Wert eines Vergleichs sind daher die Werte aller rechtshängigen oder nichtrechtshängigen Ansprüche einzubeziehen, die zwischen den Parteien streitig oder ungewiss waren und die mit dem Vergleich geregelt wurden. Demgegenüber ist die bloße Begründung einer Leistungspflicht in dem Vergleich für den Vergleichsmehrwert ohne Bedeutung; denn es kommt für die Wertfestsetzung darauf an, worüber - und nicht worauf - die Parteien sich geeinigt haben. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass durch den Vergleich ein Streit vermieden wurde. Ein Titulierungsinteresse kann nur dann berücksichtigt werden, wenn der geregelte Anspruch zwar unstreitig und gewiss, seine Durchsetzung aber ungewiss war (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 8. März 2017 - 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 2).

Die Festsetzung eines Vergleich...

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