Entscheidungsstichwort (Thema)

Massenentlassung nach § 17 KSchG Vertrauensschutz in den sog. Altfällen. Massenentlassung. Vertrauensschutz. Altfälle zur Massenentlassung

 

Leitsatz (redaktionell)

Einem Arbeitgeber, der im Rahmen einer Massenentlassung das Anzeigeverfahren nach §§ 17, 18 KSchG vor Erlass des Urteils des EuGH vom 27.01.2005, C-188/03, so durchgeführt hat, wie es der jahrelangen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Massenentlassungsanzeige entsprach, verdient Vertrauensschutz mit der Folge, dass der Verstoß gegen die Anzeigepflicht nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führt.

 

Normenkette

KSchG §§ 17-18, 1 Abs. 2; BGB § 613a Abs. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Urteil vom 29.06.2005; Aktenzeichen 8 Ca 258/04)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen dasUrteil desArbeitsgerichts Stuttgart – Kammern Aalen – vom29.06.2005 – 8 Ca 258/04 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen aufgrund der ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 26.04.2004 mit Ablauf des 30.06.2004 geendet hat.

Der am 13.04.1968 geborene, verheiratete und zwei Kindern unterhaltspflichtige Kläger war jedenfalls – seit 01.10.1998 bei der Beklagten beschäftigt. Seine Bruttomonatsvergütung belief sich zuletzt auf EUR 2.950,00 (Angabe des Klägers) bzw. EUR 2.060,00 (Angabe der Beklagten). Dem Arbeitsverhältnis liegt ein Arbeitsvertrag vom 01.10.1998 zugrunde, den der Kläger mit der bei Vertragsabschluss in E. (Sachsen), später in L. ansässigen Beklagten abgeschlossen hatte.

Die Beklagte befasste sich mit der industriellen Herstellung und Montage von Büromöbeln. In ihren zwei Niederlassungen in L. und in E. beschäftigte sie 27 bzw. 61 Arbeitnehmer. Der Kläger war ausschließlich in der Niederlassung in L. als Fahrer tätig.

Am 21.04.2004 beschloss der alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer der Beklagten, die Gesellschaft (wohl richtig: den Betrieb) zum 30.06.2004 stillzulegen und die Gesellschaft zum 01.05.2004 aufzulösen. Der Geschäftsführer wurde zum alleinigen Liquidator bestellt. Die Beklagte kündigte daraufhin den bestehenden Vertriebsvertrag mit der Firma R. Office GmbH mit Schreiben vom 21.04.2004. Des weiteren kündigte sie den bestehenden Mietvertrag, die Räumlichkeiten in L. betreffend, mit Schreiben vom 21.04.2004 an die Firma Industriepark R. GmbH & Co. KG zum 30.06.2004. Schließlich kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 21.04.2004 gegenüber der Firma G. R. GmbH & Co. KG in E. einen Pachtvertrag und diverse Pachtverträge, die Überlassung von Betriebseinrichtungen betreffend, zum 30.06.2004. Am 23.04.2004 beschloss die Gesellschafterversammlung die Arbeitsverhältnisse mit den Arbeitnehmern zum frühest möglichen Zeitpunkt zu kündigen.

Die Beklagte stellte die Produktion in der Niederlassung L. zum 30.06.2004 ein. Hinsichtlich der Niederlassung in E. führte die Beklagte am 05.07.2004 mit dem dortigen Betriebsleiter, Herrn J.-P. L., am 05.07.2004 ein Erstgespräch betreffend die Fortführung der Betriebsstätte. Herr L. gründete die Firma Büromöbelwerk E. GmbH, E.. Diese führt die Betriebsstätte seit 12.07.2004 weiter.

Mit Schreiben vom 29.04.2004 unterrichtete die Beklagte die Agentur für Arbeit A. über die beabsichtigte Entlassung von 27 Arbeitnehmern. Die Anzeige ging am 30.04.2004 bei der Agentur für Arbeit ein. Mit Schreiben vom 03.05.2004 nahm die Agentur für Arbeit von der geplanten Massenentlassung Kenntnis.

Mit Schreiben vom 26.04.2004, dem Kläger zugegangen am 27.04.2004, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30.06.2004.

Mit seiner am 07.04.2004 eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt. Er hat vorgetragen, die Kündigung vom 26.04.2004 sei sozial ungerechtfertigt. Darüber hinaus sei die Kündigungsfrist nicht eingehalten. Er sei Arbeitnehmer des Büromöbelwerks R. GmbH in E.. Eine Betriebsstilllegung habe nicht stattgefunden. Der Firmensitz sei in E. und bestehe dort nach wie vor.

Der Kläger hat beantragt:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die ordentliche Kündigung vom 26.04.2004, zugestellt am 27.04.2004, nicht zum 30.06.2004 beendet worden ist, sondern über den 30.06.2004 hinaus fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, Grund für die Kündigung sei die beabsichtigte und tatsächlich durchgeführte Betriebsstilllegung. Die Betriebsstätte in E. werde durch eine andere Firma fortgeführt. Davon sei der in L. tätige Kläger nicht betroffen.

Mit Urteil vom 29.06.2005 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Kündigung vom 26.04.2004 sei wegen Stilllegung des Betriebs in L. sozial gerechtfertigt. Sie sei auch nicht wegen eines Betriebsübergangs unwirksam. Selbst wenn der Betrieb in E. gemäß § 613a BGB von der Beklagten auf das Büromöbelwerk E. GmbH übergegangen sei, so sei der (Teil)Betrieb in L. hiervon nicht betroffen. Der Kläger habe dem (Teil)Betri...

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