Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsratsanhörung: keine Mitteilung der vollständigen. Sozialdaten des Arbeitnehmers bei Betriebsstilllegung durch den Insolvenzverwalter unter Einhaltung der Kündigungsfrist des § 113 InsO. Massenentlassungsanzeige. Vertrauensschutz. Betriebsratsanhörung. Sozialdaten. Betriebsschließung. Betriebsstilllegung. Massenentlassung. Altfälle

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei einer Betriebsstilllegung im Zuge eines Insolvenzverfahrens ist für die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates zu Insolvenzverwalterkündigungen unter Einhaltung der Kündigungsfrist des § 113 InsO die vollständige Mitteilung der Sozialdaten nicht erforderlich (Fortführung von BAG, Urteil vom 13.05.2004 – 2 AZR 329/03).

2. Ein Arbeitgeber, der im Rahmen einer Massenentlassung das Anzeigeverfahren nach §§ 17, 18 KSchG vor Erlass des Urteils des EuGH vom 27.01.2005 – C-188/03 so durchgeführt hat, wie es der jahrelangen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Massenentlassungsanzeige entsprach, verdient Vertrauensschutz mit der Folge, dass der Verstoß gegen die Anzeigepflicht nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führt.

 

Normenkette

KSchG § 17; BetrVG § 102 Abs. 1; InsO § 113

 

Verfahrensgang

ArbG Pforzheim (Urteil vom 20.07.2005; Aktenzeichen 4 Ca 115/04)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 20.09.2006; Aktenzeichen 6 AZR 219/06)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom20.07.2005 – 4 Ca 115/04 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen aufgrund der ordentlichen Kündigung des Beklagten vom 23.07.2004 mit Ablauf des 31.10.2004 geendet hat.

Der am 08.09.1948 geborene verheiratete Kläger war seit 02.07.1973 (Angabe des Klägers) bzw. 02.03.1973 (Angabe des Beklagten) bei der Schuldnerin als Kulturarbeiter beschäftigt. Das durchschnittliche Bruttomonatseinkommen des Klägers belief sich zuletzt auf EUR 1.885,74. Bei der Schuldnerin waren zuletzt mehr als fünf bzw. zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt.

Die Schuldnerin betrieb im Rahmen eines gemeinsamen Betriebs mit der Firma G. eine Baumschule. Am 07.06.2004 wurde über das Vermögen der Firma G. und dasjenige der Schuldnerin Insolvenzantrag gestellt. Am 08.06.2004 wählten die Beschäftigten beider Unternehmen einen Betriebsrat für den gemeinsamen Betrieb beider Unternehmen. Am 01.07.2004 wurde das Insolvenzverfahren durch Beschluss des Amtsgerichts Tübingen eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.

Der Beklagte entschloss sich, den – faktisch bereits stillgelegten – Betrieb der Schuldnerin unverzüglich endgültig stillzulegen. Er unterrichtete nach seinem – bestrittenen – Vorbringen den Betriebsrat am 07. und 09.07.2004 über die beabsichtigten Kündigungen sämtlicher Arbeitsverhältnisse unter Beifügung einer Personalliste, in der die maßgeblichen Sozialdaten verzeichnet waren. Am 19.07.2004 schloss der Beklagte mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich/Sozialplan ab. Im Interessenausgleich war unter Ziff. 4 festgehalten, dass das Anhörungsverfahren für die Kündigungen gemäß § 102 BetrVG ordnungsgemäß durchgeführt worden sei und der Betriebsrat zu den Kündigungen keine Stellungnahme abgegeben habe. Dem Interessenausgleich/Sozialplan waren zwei Namenslisten beigefügt, in denen die Arbeitnehmer der Schuldnerin sowie der Firma G. aufgeführt waren. Die Namenslisten waren mit dem Interessenausgleich/Sozialplan mittels Heftklammer verbunden.

Der Beklagte erstattete gegenüber der Agentur für Arbeit Nagold eine Massenentlassungsanzeige, die dort am 23.07.2004 einging. Mit Schreiben vom 28.07.2004 teilte die Agentur für Arbeit Nagold mit, dass die Entlassungssperre für 18 Arbeitnehmer zum 23.08.2004 ablaufe und die Frist nach § 18 Abs. 4 KSchG den Zeitraum vom 24.08. bis 21.11.2004 umfasse.

Mit Schreiben vom 23.07.2004, dem Kläger nach seinem zweitinstanzlichen Vorbringen zugegangen in zweifacher Ausfertigung am 26. und 28.07.2004, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31.10.2004.

Mit seiner am 02.08.2004 eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt. Wegen seines erstinstanzlichen Vorbringens wird auf die Klageschrift sowie den Schriftsatz vom 13.06. und 05.07.2005 verwiesen.

Der Kläger hat beantragt:

  1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 23.07.2004 aufgelöst wurde, sondern über den 31.10.2004 hinaus fortbesteht.
  2. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zur Rechtskraft des Kündigungsschutzverfahrens als Kulturarbeiter weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen seines erstinstanzlichen Vorbringens wird auf dessen Schriftsätze vom 13.05. und 27.06.2005 verwiesen.

Mit Urteil vom 20.07.2005 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Kündigung sei wegen dringender betrieblicher Erfordernisse gemäß § 1...

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