Entscheidungsstichwort (Thema)

§ 613a BGB im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr

 

Leitsatz (amtlich)

1. Beruft sich der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess darauf, der Betrieb sei vom bisherigen Arbeitgeber nicht stillgelegt sondern auf einen neuen Inhaber übertragen worden, so muss der Arbeitgeber, der eine Kündigung wegen beabsichtigter Stilllegung behauptet, ausschließen, dass es sich bei der von ihm behaupteten Stilllegungsabsicht in Wahrheit um eine beabsichtigte Betriebsveräußerung handelt; denn Betriebsstilllegung und Betriebsveräußerung schließen sich aus.

2. Ordnet sich eine Konzerntochter dem Plan der Konzernmutter unter, die Produktion bestimmter Teile an ihrem Betriebsstandort einzustellen und das damit befasste Personal zu entlassen, alle benötigten Maschinen an eine Konzernschwester zu veräußern, die sie an ihrem Betriebsstandort zur Produktion der gleichen Teile aufstellt und den Know-how-Trägern Arbeitsverträge anbietet, so spricht so viel für eine beabsichtigte Teil-Betriebsveräußerung, dass das Argument, in dem Betrieb der Konzernschwester werde keine eigenständige Betriebsabteilung aufgebaut, die Annahme einer Veräußerungsabsicht nicht entkräftet.

3. Die vorstehenden Grundsätze gelten auch dann, wenn ein Betriebsübergang ins Ausland behauptet ist. § 613 a BGB gilt nach der Regelanknüpfung des Art. 30 EGBGB auch bei Betriebsveräußerungen ins Ausland. Entscheidend ist, ob der Sachvortrag des Arbeitnehmers die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 613 a BGB als möglich erscheinen lässt. Davon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der übertragende und der übernehmende Betrieb sich in einer Entfernung von nur wenigen Kilometern diesseits und jenseits der Grenze befinden.

 

Normenkette

BGB § 613a

 

Verfahrensgang

ArbG Freiburg i. Br. (Urteil vom 13.03.2009; Aktenzeichen 14 Ca 516/08)

ArbG Freiburg i. Br. (Aktenzeichen 14 Ca 515/08)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 26.05.2011; Aktenzeichen 8 AZR 37/10)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg vom 13.03.2009 – 14 Ca 516/08 abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigungserklärung der Beklagten vom 24.10.2008 aufgelöst worden ist.

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigungserklärung der Beklagten vom 27.10.2008 aufgelöst worden ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

4. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen der Beklagten vom 24. und 27.10.2008 zum 28.02.2009 beendet wurde.

Der 46-jährige verheiratete und zwei Kindern unterhaltsverpflichtete Kläger war seit 01.06.1900 bei der Beklagten als Vertriebsingenieur gegen eine Bruttomonatsvergütung von zuletzt 4.728,47 EUR beschäftigt.

Bei der Beklagten waren bis Ende 2000 insgesamt 30 Arbeitnehmer in zwei weitgehend selbständig organisierten Teilbereichen tätig. In einem Teilbereich, genannt B. V, befassten sich 22 Arbeitnehmer mit der Produktion und dem Vertrieb von Klappenventilen vor allem für die Pharmaindustrie. Der andere Teilbereich vertrieb Pulvertechnologieanlagen für die chemische Industrie. Von den dortigen acht Arbeitnehmern waren sechs im Außendienst eingesetzt und zwei im kaufmännischen Innendienst. Der Kläger war dem Innendienst des Bereiches B. V. zugeordnet, arbeitete jedoch teilweise vom home office aus.

Die Beklagte ist Teil der international operierenden Unternehmensgruppe G. G. AG, die Alleingesellschafterin der Beklagten ist und unter ihrem Dach Unternehmen in Deutschland, Belgien, England und der Schweiz vereint. Eines dieser Unternehmen ist die G. P. S. AG in B. bei B.. Die G. G. AG hat ihre Tätigkeit in verschiedene Geschäftsbereiche, sogenannte Divisionen, aufgeteilt, darunter die H.-D. (P. S.) und die P-Division (P. E.). Bei der Beklagten war der Teilbereich B. V. der H.-D. der zweite Teilbereich der P.-D. zugehörig.

Am 22.10.2008 erfuhr einer der Geschäftsführer der Beklagten, Herr L., von dem weiteren Geschäftsführer der Beklagten, Herrn Y., dass der Geschäftsbereich B.V. der Beklagten in M. nicht fortgeführt werden solle. Noch am gleichen Tage stellte die Beklagte Antrag beim Integrationsamt zur Kündigung einer schwerbehinderten Mitarbeiterin. Am 24.10.2008 wurde den Mitarbeitern auf einer Betriebsversammlung die Kündigungsabsicht mitgeteilt. Ferner erstattete die Beklagte an diesem Tage eine Massenentlassungsanzeige hinsichtlich 22 beabsichtigter Kündigungen. Unter dem 24.10.2008 kündigte die Beklagte 20 der 22 Mitarbeitern des Bereichs B. V. ordentlich. Eine weitere ordentliche Kündigung wurde unter dem 27.10.2008 nachgeschoben. Unter den Gekündigten war auch der Kläger, dessen Arbeitsverhältnis am 28.02.2009 enden sollte.

In der Zeit vom 17. bis 23.12.2008 wurden durch die S. Firma F. AG die für die...

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