Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung der Tätigkeit einer Erzieherin in einer Kindertagesstätte als Vordienstzeit einer Fachlehrerin an einer Förderschule

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Tätigkeit einer Erzieherin in Kindergärten und Kindertagesstätten unterscheidet sich von derjenigen einer Fachlehrerin an einer Förderschule (Grundschule in der Ausrichtung einer sonderpädagogischen Bildungseinrichtung mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung) so stark, dass weder eine gleiche noch eine gleichartige Tätigkeit vorliegt, die als "einschlägige Berufserfahrung" i.S.d. § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L anzusehen wäre.

2. § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L soll lediglich dem Arbeitgeber bei Verhandlungen mit Bewerbern einen größeren Spielraum gewähren, nicht aber einen eigenständigen tariflichen Rechtsanspruch von Arbeitnehmer*innen auf vollständige oder teilweise Berücksichtigung von Zeiten einer vorherigen beruflichen Tätigkeit für die Stufenzuordnung trotz vorbehaltloser Unterzeichnung des Arbeitsvertrags begründen.

 

Normenkette

TV-L § 16 Abs. 2 Sätze 2, 4

 

Verfahrensgang

ArbG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 30.01.2019; Aktenzeichen 10 Ca 136/18)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 15.10.2021; Aktenzeichen 6 AZR 268/20)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg - Kammern Offenburg - vom 30. Januar 2019, Az. 10 Ca 136/18, wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die zutreffende tarifliche Stufenzuordnung der Klägerin nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) und daraus resultierende Vergütungsdifferenzansprüche.

In der Zeit von September 1998 bis März 2015 war die Klägerin als Erzieherin in verschiedenen Kindergärten und -tagesstätten beschäftigt, unterbrochen von einer dreijährigen Elternzeit. Vereinzelt hatte sie im Rahmen ihrer Tätigkeit als Erzieherin mit behinderten Kinder zu tun. Sie war zunächst in der Vergütungsgruppe VIb BAT und ab August 2002 in Vc BATB/L eingruppiert. Im Anschluss an ihre Elternzeit war sie bis zum 20. März 2015 in die Entgeltgruppe S6 TVöD eingruppiert.

Im Zeitraum vom 21. März 2015 bis zum 29. Juli 2015 war die Klägerin an der H-Schule in O., an der sie inzwischen wieder tätig ist, als Vertretungslehrerin beschäftigt. Bei dieser Grundschule handelt es sich um eine sonderpädagogische Bildungseinrichtung mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung. Alle Kinder, die die Schule besuchen, weisen eine Behinderung auf. Die Art und der Grad der Behinderung der Kinder ist unterschiedlich. Teilweise sind die Kinder körperlich und zudem geistig behindert. Vom 15. September 2015 bis zum 30. Januar 2016 war die Klägerin an der A-Schule in W., einer Sonderschule für Geistigbehinderte, als Vertretungslehrerin beschäftigt. Während beider Beschäftigungen als Vertretungslehrerin war sie in die Entgeltgruppe E9 Stufe 3 des TVöD-L eingruppiert.

Von Februar bis Juli 2017 nahm die Klägerin an einem Vorbereitungsdienst für die Laufbahn des Fachlehrers an Sonderschulen für geistig Behinderte - Abteilung Sonderpädagogik - teil. Den Vorbereitungsdienst schloss die Klägerin erfolgreich ab.

Am 8. September 2017 nahm sie ihre aktuelle Beschäftigung an der H-Schule in O. auf, nachdem sie sich erfolgreich auf eine Stellenausschreibung, die sich konkret auf die Schule bezog, beworben hatte. Auf das Arbeitsverhältnis findet der TV-L Anwendung gemäß § 3 des Arbeitsvertrages, ebenso wie die Entgeltordnung Lehrkräfte (EntgO-L). Dem Arbeitsverhältnis liegt ein Arbeitsvertrag vom 15. August/8. September 2017 (ABl. 40 ff.) zu Grunde. Danach ist die Klägerin in die Entgeltgruppe E9 eingruppiert. Sie wurde zu Beginn der Beschäftigung zunächst der Entgeltstufe 1 der Entgeltgruppe E9 TV-L zugeordnet. Der Arbeitsvertrag sieht eine Regelstufenerhöhung in die Stufe 3 nach 5 Jahren in der Stufe 2 vor (§ 5 des Arbeitsvertrags). Die Klägerin ist Fachlehrerin in einer Mischklasse (Klassenstufen 3 und 4). In ihrer Klasse sind acht Schüler, die starke, teils auch mehrfache geistige Behinderungen aufweisen. Die Hälfte der Schüler muss gewickelt werden.

Mit E-Mail vom 8. Januar 2018 (ABl. 57) beantragte die Klägerin beim Regierungspräsidium F. die Berücksichtigung ihrer bisherigen Berufstätigkeit bei ihrer Eingruppierung. Die zuständige Sachbearbeiterin des Regierungspräsidiums teilte der Klägerin mit E-Mail vom 22. Februar 2018 (ABl. 58) mit, dass die Zeiten der Beschäftigungen als Vertretungslehrerin angerechnet werden könnten. Dagegen könne die Berufserfahrungszeit als Erzieherin nicht berücksichtigt werden.

Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin machten für sie mit einem Schreiben vom 28. März 2018 die Einstufung in die Entgeltstufe 3 der Entgeltgruppe E9 geltend (ABl. 59). Mit Schreiben vom 25. April 2018 (ABl. 60 ff.) teilte das Regierungspräsidium mit, dass eine einschlägige Berufserfahrung von einem Jahr, zwei Monaten und 25 Tagen zuerkann...

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