Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit abweichender Regelungen im Tarifvertrag zur Höchstüberlassungsdauer. Betrachtung von Regelungen zur Höchstüberlassungsdauer als Inhaltsnormen. Weiterbeschäftigungsanspruch bei Feststellung des Bestandes des Arbeitsverhältnisses

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 1 Abs. 1b AÜG eröffnet den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche, durch Tarifvertrag abweichende Regelungen zur Überlassungshöchstdauer gem. § 1 Abs. 1b Satz 1 1. Halbs. AÜG zu treffen sowie Abweichungen zur Einsatzdauer gem. § 1 Abs. 1b Satz 1 2. Halbs. AÜG.

2. Machen die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche von der Möglichkeit des § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG vollumfänglich Gebrauch, sind die Regelungen zur Einsatzdauer im Einsatzbetrieb des Entleihers bloße Betriebsnormen. Die Regelungen zur Überlassungshöchstdauer sind jedoch Inhaltsnormen.

3. Durch bloße Betriebsnormen für die Betriebe der Einsatzbranche wird ohne ergänzende Regelung zur Überlassungshöchstdauer im Verleihverhältnis kein bloßer Reflex mit mittelbarer Wirkung für das Verleihverhältnis geschaffen.

4. Nr. 2.3 des von Südwestmetall und der IG Metall, Bezirk Baden-Württemberg abgeschlossenen Tarifvertrags Leih-/Zeitarbeit (TV Leiz), mit welcher die Höchstdauer eines Einsatzes von Leiharbeitnehmern auf 48 Monate angehoben wurde, vermag deshalb für Nichtmitglieder der IG Metall eine Abweichung von der Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gem. § 1 Abs. 1b Satz 1 1. Halbs. AÜG nicht zu bewirken.

 

Normenkette

AÜG § 1 Abs. 1b Sätze 1, 3, § 9 Abs. 1 Nr. 1b, § 10 Abs. 1 S. 1, § 19 Abs. 2; TVG § 3 Abs. 1-2, § 4 Abs. 1 Sätze 1-2; TV LeiZ Nr. 2.3; BGB § 611a

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 20.02.2020; Aktenzeichen 22 Ca 4567/19)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 14.09.2022; Aktenzeichen 4 AZR 26/21)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 20.02.2020 (22 Ca 4567/19) abgeändert.

    1. Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien seit dem 01.08.2019 ein Arbeitsverhältnis besteht.
    2. Die Beklagte wird verurteilt, die wesentlichen Vertragsbedingungen des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger schriftlich niederzulegen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem Kläger auszuhändigen.
    3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Rechtsstreits als Produktionshelfer zu beschäftigen.
  • II.

    Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

  • III.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen über §§ 9, 10 AÜG ein Arbeitsverhältnis als zustande gekommen gilt, hilfsweise über die Erteilung eines Nachweises über die Bedingungen dieses Arbeitsverhältnisses sowie über (Weiter-) Beschäftigung.

Der am XX. XX 19XX geborene, verheiratete Kläger wurde von seiner vormaligen Arbeitgeberin, der D. A. GmbH, im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung vom 12. September 2011 bis 7. September 2013 an die Beklagte überlassen. Nach einem Wechsel des Arbeitgebers wurde der Kläger von seiner letzten Arbeitgeberin, der I.K. H. GmbH, wiederum im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung durchgehend und ununterbrochen von 31. März 2014 bis 31. Mai 2019 an die Beklagte überlassen. Der Kläger war tätig als Produktionshelfer Metall in den Werken S.-B. C. und S.-U. der Beklagten.

Die letzte Vertragsarbeitgeberin, die Fa. I.K. H. GmbH, wandte die zwischen dem DGB und dem Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) abgeschlossenen Tarifverträge an, weshalb der Kläger von seiner Arbeitgeberin einen Branchenzuschlag in Höhe von monatlich 969,33 Euro erhielt. Die letzte Gesamtvergütung des Klägers betrug monatlich 4.075,21 Euro.

Die Beklagte ist Mitglied im Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg (Südwestmetall). In ihrem Unternehmen ist ein Gesamtbetriebsrat gebildet. In den Betrieben sind örtliche Betriebsräte gebildet.

Der Kläger ist nicht Mitglied der Gewerkschaft IG Metall.

Zwischen Südwestmetall und der IG Metall - Bezirk Baden-Württemberg, Bezirksleitung Baden-Württemberg wurde am 31. Mai 2017 ein Tarifvertrag Leih-/ Zeitarbeit (TV Leiz) abgeschlossen, der rückwirkend zum 1. April 2017 in Kraft trat. In diesem heißt es unter anderem:

2. Einsatz von Leih-/ Zeitarbeitnehmern

...

2.2 Der vorübergehende Einsatz von Leih-/Zeitarbeitnehmern ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 4 AÜG zulässig. Die nachfolgenden tariflichen Regelungen erfolgen in Umsetzung der Öffnungsklauseln nach § 1 Abs. 1b AÜG und sind in ihrer Anwendung auf den Geltungsbereich des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes beschränkt.

...

2.3 Die Tarifparteien stimmen darin überein, dass die Höchstdauer eines Einsatzes nach diesem Tarifvertrag (Ziffer 3 und Ziffer 4.1) 48 Monate nicht überschreiten darf.

...

3. Betriebe mit Betriebsvereinbarung

3.1 Die Betriebsparteien können im Rahmen einer freiwilligen Betriebsvereinbarung den Einsatz von Leih-/ Zeitarbeit und die Ausgestaltung der betrieblichen Flexibilität regeln. Auf Verlangen einer Seite sind hierzu Verhandlungen aufzunehmen.

3.1.1. In dieser Vereinbarung können zum...

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