Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstellung der Zwangsvollstreckung. nicht zu ersetzender Nachteil durch Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Um das durch Rechtsfortbildung geschaffene Institut des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs nicht zu entwerten, sind an die Annahme eines nicht zu ersetzenden Nachteils hohe Anforderungen zu stellen. Die mit der Einschränkung der Handlungsfreiheit verbundene Belastung des Arbeitgebers überwindet diese Hürde ebenso wenig, wie der Umstand, dass eine vollzogene Weiterbeschäftigung nicht wieder rückgängig gemacht werden kann.

2. Der Auffassung, wonach der Arbeitgeber durch die Zwangsvollstreckung nicht gezwungen werden dürfe, arbeitsorganisatorische Maßnahmen zurückzunehmen, die auf seiner unternehmerischen Freiheit beruhen und nicht willkürlich sind, kann nicht gefolgt werden. Diese Prüfung ist gerade dem Erkenntnisverfahren vorbehalten und eine Frage der Begründetheit des Weiterbeschäftigungsanspruchs, die wegen der Rechtsnatur des Weiterbeschäftigungsanspruchs unlösbar mit dem Erfolg der Kündigungsschutzklalage verbunden ist.

 

Normenkette

ArbGG § 62 Abs. 1 Sätze 2-3; ZPO § 719 Abs. 1 S. 1, § 707 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Mannheim (Urteil vom 12.01.2006; Aktenzeichen 14 Ca 244/05)

 

Tenor

1. Der Antrag der Beklagten, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgericht Mannheim – Kammern Heidelberg – vom 12.01.2006 – 14 Ca 244/05 – einstweilen einzustellen, wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde ist nicht zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die beklagte Arbeitgeberin möchte die Zwangsvollstreckung aus einem erstinstanzlichen Urteil vorläufig eingestellt wissen.

Im Erkenntnisverfahren streiten die Parteien über die Wirksamkeit einer auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützten ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 14.05.2005 zum 30.06.2005 und Weiterbeschäftigung. Die mit einem Grad der Behinderung von 60 schwerbehinderte Klägerin versah die Funktion einer Leiterin der Finanzbuchhaltung der Beklagten, war allerdings vom 21.12.2004 bis 03.02.2006 arbeitsunfähig erkrankt. Mit Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim – Kammern Heidelberg – vom 12.01.2006 – 14 Ca 244/05 – wurde festgestellt, dass die Kündigung der Beklagten das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst hatte. Daneben wurde die Beklagte dazu verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits weiterzubeschäftigen. Gegen das erstinstanzliche Urteil legte die Beklagte form- und fristgerecht Berufung ein und beantragte außerdem, die Zwangsvollstreckung vorläufig einzustellen. Die Klägerin betreibt die Vollstreckung. Mittlerweile kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut ordentlich mit Schreiben vom 27.02.2006 zum 30.06.2006, nachdem ihre Mitarbeitervertretung und das zuständige Integrationsamt der beabsichtigten Kündigung zugestimmt hatten. Auch die weitere Kündigung wird nach ihrem Wortlaut auf dringende betriebliche Erfordernisse zurückgeführt.

Die Beklagte meint, durch die Vollstreckung drohe ihr ein nicht zu ersetzender Nachteil im Sinne von § 62 Abs. 1 Satz 2 und 3 ArbGG. In tatsächlicher Hinsicht stützt sie sich dabei zum einen auf die – wie sie behauptet – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der unklaren gesundheitlichen Situation der Klägerin unzumutbare Umorganisation, die mit ihrer Weiterbeschäftigung verbunden sei. Aufgrund der über einjährigen krankheitsbedingten Abwesenheit der Klägerin werde ihr Arbeitsraum durch einen anderen Mitarbeiter genutzt. Alle ihre Tätigkeiten seien auf die verbliebene zweite Leiterin und ihr unterstellte Mitarbeiter verteilt, soweit sie nicht entfallen seien. Da augenblicklich – bis etwa Mitte/Ende März 2006 – alle Mitarbeiter in die Jahresabschlussprüfungen eingebunden seien, sei niemand dazu in der Lage, der Klägerin einen Arbeitsplatz zu verschaffen oder ihr Arbeit zuzuweisen. Im Prüfungsablauf seien erhebliche Einschränkungen zu befürchten, wenn das Mitarbeitergefüge durch eine Einbindung der Klägerin in die Leitungsfunktion gestört werde.

Zum anderen sei das Vertrauensverhältnis zwischen der Klägerin und ihrem Vorgesetzten – dem Geschäftsführer der Beklagten – durch schwere Vorwürfe zerstört, die die Klägerin ihm gegenüber mit Schreiben vom 14.03.2005 in dem vor der ersten Kündigung eingeleiteten Zustimmungsverfahren vor dem Integrationsamt erhoben habe (dazu näher Seite 7 f. der Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift vom 02.03.2006, Blatt 7 f. der Berufungsakte, Anlage BK 5, Blatt 23 ff. der Akte zweiter Instanz, und Seite 2 letzter Absatz des Schriftsatzes der Beklagten vom 17.03.2006, Blatt 54 der Akte des zweiten Rechtszugs).

Die Beklagte ist der Auffassung, hier müsse der Rechtsgedanke des § 769 ZPO, der keinen unersetzlichen Nachteil verlange, zugrunde gelegt werden, obwohl sie im Hinblick auf die weitere Kündigung keine Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO erhoben habe. Der Weg einer Vollstreckungsgegenklage sei ihr nur deshalb verschlossen, weil für eine solche Klage das Rechtssc...

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