Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestimmtheitsgebot für den Antrag im Beschlussverfahren. Aufgabenbezug für das Auskunftsbegehren des Betriebsrats bezüglich der Daten der schwerbehinderten Menschen im Betrieb. Überwachungs- und aktive Förderpflicht des Betriebsrats für die schwerbehinderten Menschen im Betrieb. Erforderlichkeit eines Schutzkonzepts des Betriebsrats bezüglich sensitiver personenbezogener Daten i.S.d Art. 9 Abs. 1 DSGVO

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der nach § 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG erforderliche Aufgabenbezug des Auskunftsbegehrens des Betriebsrates bezogen auf die Anzahl und Namen der im Betrieb beschäftigten schwerbehinderten/diesen gleichgestellten Menschen kann sich aus der geplanten Einberufung einer Wahlversammlung durch den Betriebsrat zur Wahl eines Wahlvorstandes im Vorfeld der geplanten Wahl einer Schwerbehindertenvertretung ergeben (vgl. auch §§ 176, 177 SGB IX, § 1 Abs. 2 S. 1 SchbVWO)

2. Der erforderliche Aufgabenbezug kann sich ferner auch aus § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG, § 176 SGB IX aufgrund der gesetztlich statuierten Überwachungs- und aktiven Förderungspflicht schwerbehinderter Menschen vorgelagert zur Ermittlung des Bedürfnisses/der Reichweite von Unterstützungsmaßnahmen ergeben. Es ist hierbei nicht erforderlich, dass der Betriebsrat konkret eine bestimmte spezifische bereits geplante Maßnahme darlegt.

3. Der Betriebsrat hat bei einem Auskunftsbegehren nach § 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG, soweit sich dieses auf sensitive Daten im Sinne des Artikel 9 Abs. 1 DSGVO bezieht, die ausreichende Gewährleistung angemessener und spezifischer Schutzmaßnahmen darzulegen, wobei dabei ein ausreichendes Schutzkonzept darzulegen ist und die entsprechenden Einzelmaßnahmen einem Spielraum des Betriebsrates unterliegen. Im Übrigen ergibt sich allgemein auch aus § 79a BetrVG eine Verantwortlichkeit des Betriebsrates für die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz.

 

Leitsatz (redaktionell)

Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss ein Antrag auch im Beschlussverfahren so bestimmt sein, dass die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung gemäß § 322 Abs. 1 ZPO zwischen den Parteien entschieden werden kann. Der Antrag muss aus sich heraus verständlich sein. Nur dann kann eine der materiellen Rechtskraft zugängliche Sachentscheidung ergehen.

 

Normenkette

BetrVG §§ 79a, 80 Abs. 1-2; BDSG § 26 Abs. 3, § 22 Abs. 2; SGB IX § 176; SchbVWO § 1 Abs. 2; DSGVO Art. 9 Abs. 1; SGB IX § 177; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 322 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Karlsruhe (Entscheidung vom 22.07.2021; Aktenzeichen 8 BV 8/20)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 09.05.2023; Aktenzeichen 1 ABR 14/22)

 

Tenor

  1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 22.07.2021 - 8 BV 8/20 wird zurückgewiesen.
  2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
 

Gründe

A.

Der Beteiligte Ziffer 1 (nachfolgend Betriebsrat) begehrt von der Beteiligten Ziffer 2 (nachfolgend Arbeitgeberin) die Mitteilung der Anzahl und Namen der im Betrieb K. beschäftigten schwerbehinderten Menschen/gleichgestellten Menschen. Ferner streiten die Beteiligten um einen Unterlassungsanspruch und eine Androhung eines Ordnungsgeldes in diesem Zusammenhang.

Die Arbeitgeberin ist eine Entsorgungsdienstleisterin, die in der Region N. drei Betriebe (erstinstanzlich noch vier Betriebe), und zwar in K., W. und P. hat und verschiedene Dienstleistungen zur Entsorgung anbietet. Der Beteiligte zu 1) ist der örtliche Betriebsrat des Betriebs in K., dessen Vorsitzender Herr S. ist. Vormals beteiligt zu 3 war auch der Gesamtbetriebsrat, dessen Vorsitzender ebenfalls Herr S. ist. Mangels weiterer Betroffenheit wurde der Gesamtbetriebsrat im weitergehenden Beschwerdeverfahren (nach entsprechender Anhörung) nicht mehr beteiligt (vgl. auch Verfügung vom 29. November 2021, Abl. 53 der Beschwerdeakte).

Der Betriebsrat begehrte im Vorfeld hiesiges Verfahrens sowie erstinstanzlich die Auskunft über alle im Betrieb und im Unternehmen beschäftigten schwerbehinderten Menschen und ihnen gleichgestellten behinderten Menschen i.S.d. § 2 Abs. 2 und 3 SGB IX sowie die Überlassung einer Kopie der für die Bundesagentur für Arbeit bestimmten Anzeige nebst Verzeichnissen nach § 163 Abs. 2 S. 3 SGB IX. Nachdem die Arbeitgeberin außergerichtlich dem nicht nachkam, wurde sie nochmals mit Schreiben vom 2. März 2020 zur Übermittlung des Verzeichnisses aufgefordert (vgl. nur Anlage AS1, Abl. 7 f. der erstinstanzlichen Akte). Die Arbeitgeberin lehnte die Übermittlung insbesondere wegen datenschutzrechtlicher Bedenken fernmündlich ab. Sie begehrte von den bei ihr beschäftigten schwerbehinderten Menschen eine Einwilligung zur Übermittlung der Daten gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. a DSGVO. Nachdem diese von nicht allen Arbeitnehmern erteilt wurde, verweigerte die Arbeitgeberin die Datenübermittlung. Wann genau bzw. mit welchem genauen Inhalt die Einwilligung abgefragt wurde ist nicht bekannt bzw. hat die Arbeitgeberin nicht mitgeteilt (vgl. hierzu auch Protokoll des Berufungstermins vom 08.04.2022, Abl.84 der Besc...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge