Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifvorrang. Sperrwirkung. Betriebsübergang. Tarifautonomie. Festlegung des Geltungsbereichs eines Tarifvertrags

 

Leitsatz (redaktionell)

Im Rahmen der Tarifautonomie können die Tarifvertragsparteien den Geltungsbereich der von ihnen abgeschlossenen Tarifverträge frei bestimmen. Es bleibt den Tarifparteien unbenommen, den fachlichen Geltungsbereich von vornherein auf Betriebe der tarifgebundenen Mitgliedsunternehmen zu beschränken und dadurch auch die Reichweite der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG festzulegen.

 

Normenkette

GG Art. 9 Abs. 3; BetrVG §§ 99, 77 Abs. 3, § 50 Abs. 1; BGB § 613a Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Beschluss vom 16.10.2002; Aktenzeichen 30 BV 169/02)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 22.03.2005; Aktenzeichen 1 ABR 64/03)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss der 30. Kammer des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 16.10.2002 – Aktenzeichen 30 BV 169/02 – wird hiermit zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligte Ziff. 1, Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (künftig: Arbeitgeberin), begehrt die Ersetzung der vom Beteiligten Ziff. 2, Antragsgegner und Beschwerdeführer (künftig: Betriebsrat) verweigerten Zustimmung zur Eingruppierung des Arbeitnehmers …

Die Arbeitgeberin gehört zur Unternehmensgruppe der Technischen Überwachungsvereine (TÜV) … Der Beteiligte Ziff. 2 ist der für den gemeinschaftlichen Betrieb der Arbeitgeberin und des TÜV … gebildete Betriebsrat.

Herr …, dessen Eingruppierung zwischen den Beteiligten strittig ist, wurde mit Wirkung zum 01.01.1984 vom damaligen Technischen Überwachungs-Verein … e.V. eingestellt. Dieser fusionierte am 01.01.1990 mit dem Technischen Überwachungs-Verein … die neue Gesellschaft nannte sich … e.V..

Am 01.01.1994 ging das Arbeitsverhältnis des Herrn … kraft Teilbetriebsübergangs vom TÜV … e.V. auf die … am 01.12.1997 ebenfalls im Wege des Betriebsübergangs auf die … über. Mit Wirkung zum 01.06.2000 ging das Arbeitsverhältnis schließlich aufgrund eines weiteren (Teil-)Betriebsübergangs auf die Arbeitgeberin über.

Auf das Arbeitsverhältnis des Herrn … fanden bis zum 30.11.1997, also bis zum Zeitpunkt des Übergangs des Arbeitsverhältnisses auf die …, kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit – Herr … war Mitglied der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (künftig: ÖTV), die (jeweiligen) Arbeitgeber/innen waren jeweils Mitglied der damaligen TÜV Tarifgemeinschaft – die zwischen Letzterer und der Gewerkschaft ÖTV geschlossenen Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung unmittelbar und zwingend Anwendung. Weil Herr … sogenannter „Altbeschäftigter” war, unterfiel sein Arbeitsverhältnis vor dem Übergang auf die … den damaligen Tarifverträgen für „Altbeschäftigte”, welche für Beschäftigte, die am 31.12.1994 betriebszugehörig waren, eine beamtenähnliche Vergütung gewährleisteten.

Die … auf die das Arbeitsverhältnis des Herrn … am 01.12.1997 überging, war nicht Mitglied der TÜV Tarifgemeinschaft. Sie hatte mit dem für ihre Betriebe gebildeten Gesamtbetriebsrat mit Wirkung ab 01.08.1997 eine Betriebsvereinbarung „Gehaltsordnung”, die abschließende Regelungen zur Gehaltsstruktur, – findung und – höhe beinhaltete, geschlossen.

Nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses des Herrn … von der … auf die … beantragte die … beim zuständigen Betriebsrat die Ein- bzw. Umgruppierung (u.a.) des Herrn … in die Gehaltsordnung der … Dieser Antrag wurde vom Betriebsrat mit Schreiben vom 11.12.1997 zurückgewiesen mit der Begründung, die Gehaltsordnung der … die zur Grundlage der Eingruppierung des Herrn … gemacht werden sollte, verstoße gegen § 77 Abs. 3 BetrVG und sei schon deshalb nicht anwendbar. Unabhängig davon werde der Arbeitnehmer durch die beabsichtigte Eingruppierung in rechtswidriger Weise benachteiligt. Den Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis auf die … übergegangen sei, stehe gem. § 613 a BGB ihr bisheriges Gehalt unverändert zu, wobei diese Bestimmung ausdrücklich vorsehe, dass vor Ablauf eines Jahres keine Änderungen zum Nachteil der Arbeitnehmer vorgenommen werden dürften.

Um den Streit darüber, ob auf die Arbeitsverhältnisse der von der … auf die … übergegangenen Arbeitnehmer die Betriebsvereinbarung „Gehaltsordnung” ((oder aber die bisherigen (Vergütungs-)Tarifverträge zwischen der TÜV Tarifgemeinschaft und der Gewerkschaft ÖTV)) zur Anwendung gelange, zu klären, wurde hinsichtlich der Eingruppierung eines Arbeitnehmers, dessen Arbeitsverhältnis ebenfalls von der … auf die … übergegangen war, ein „Musterbeschlussverfahren” am Arbeitsgericht Stuttgart eingeleitet; der Ausgang dieses Verfahrens sollte auf die übrigen Arbeitsverhältnisse übertragen werden. Das Arbeitsgericht Stuttgart wies den damaligen Antrag auf Versetzung der Zustimmung zur Eingruppierung in die Gehaltsordnung der … mit Beschluss vom 29.07.1998 (ArbG-Akte Bl. 143 ff.) zurück. Weil der Arbeitnehmer, für den das Zustimmungsersetzungsverfahren durchgeführt...

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