Behauptet der Mieter, dass mit dem Umzug erhebliche gesundheitliche Risiken verbunden sind, muss er diese substanziiert vortragen und im Bestreitensfall auch beweisen.[1] Die bloße Glaubhaftigkeit des Mietervortrags, ein Umzug sei gesundheitlich nicht zu verkraften (z. B. wegen hohen Alters und Verwurzelung in der Umgebung nach langer Wohndauer), reicht nicht aus, um das Erlangungsinteresse des Eigentümers zurücktreten zu lassen. Aus einem hohen Alter und den damit verbundenen altersgemäßen Einschränkungen der Gesundheit und Fähigkeiten allein lässt sich die Unzumutbarkeit eines Umzugs nicht ableiten.

Werden vom Mieter für den Fall eines erzwungenen Wohnungswechsels nachvollziehbar ihm drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahren geltend gemacht, müssen sich die Gerichte beim Fehlen eigener Sachkunde regelmäßig mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden sind, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen voraussichtlich erreichen werden und mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten kann. Vom Mieter kann als medizinischen Laien über die Vorlage eines ausführlichen fachärztlichen Attests nicht verlangt werden, noch weitere – meist nur durch einen Gutachter zu liefernde – Angaben zu den gesundheitlichen Folgen insbesondere zu deren Schwere und zu der Ernsthaftigkeit zu befürchtender gesundheitlicher Nachteile zu machen. Wenn der gesundheitliche Zustand des Mieters einen Umzug nicht zulässt oder im Falle eines Wohnungswechsels zumindest die ernsthafte Gefahr einer erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des (schwer) erkrankten Mieters besteht, kann schon dies allein einen Härtegrund darstellen.

Trägt der Mieter zu seinen diesbezüglich geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen substanziiert sowie unter Vorlage aussagekräftiger fachärztlicher Atteste vor, bestreitet der Vermieter aber diese Behauptungen und beantragt die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens, muss das Gericht mangels eigener Sachkunde dem nachkommen. Mit dem Gutachten muss insbesondere auch geklärt werden, ob und inwieweit die Erkrankungen Auswirkungen auf einen erzwungenen Wohnungswechsel haben können und wie wahrscheinlich der Eintritt der befürchteten Nachteile wären. Nur so kann sich das Gericht ein Bild von der bestehenden Erkrankung machen und beurteilen, welche Konsequenzen ein Umzug für den Mieter hätte.[2]

Die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens zum Gesundheitszustand des Mieters sowie zu der Art, dem Umfang und den konkreten Auswirkungen seiner – behaupteten – Erkrankungen auf die Lebensführung im Allgemeinen und im Fall des Verlustes der vertrauten Umgebung verstößt regelmäßig gegen das Gebot rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Wenn der Instanzrichter abweichend von einem fachärztlich bescheinigten Bild die vom Mieter auch unter Beifügung eines Nachweises über einen bestehenden Behinderungsgrad vorgetragenen Erkrankungen, die seinem Wohnungswechsel im Weg stehen sollen, als lediglich "altersbedingte Beschwerden" bagatellisiert sowie die gesundheitlichen Auswirkungen eines erzwungenen Wohnungswechsel selbst beurteilt, statt sich sachverständig beraten zu lassen, maßt er sich eine Sachkunde an, über die er – offensichtlich – nicht verfügt.[3]

Gleiches gilt, wenn das Gericht den mit Befundberichten eines Facharztes belegten Vortrag der wegen Eigenbedarfs gekündigten langjährigen Mieterin, sie würde u. a. an Depressionen, einem posttraumatischen Belastungssyndrom sowie unter Angstzuständen und Verlustängsten leiden, als "unverständlich und unschlüssig" bzw. "ohne Aussagekraft" bezeichnet und der Räumungsklage ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens stattgibt, ohne eine eigene (bessere) medizinische Sachkunde darzulegen.[4]

Ebenso wie das Mietgericht sämtlichen vom Mieter dargelegten Zweifeln an der Ernsthaftigkeit des Selbstnutzungswunsches des Eigentümers nachzugehen hat, gebieten es die Interessen des Eigentümers, dessen Argumente gegen die vom Mieter vorgebrachten Umstände (z. B. Gesundheitsprobleme) zu berücksichtigen und im Wege der Beweisaufnahme Feststellungen darüber zu treffen, welche konkreten Nachteile dem Mieter durch den Eigenbedarf des Vermieters tatsächlich erwachsen würden. Vom Mieter behauptete und vom Vermieter bestrittene gesundheitliche Härtegründe erfordern im Falle ihrer Erheblichkeit grundsätzlich die Einholung eines Sachverständigengutachtens, sofern das Gericht nicht über die – den Parteien vorab bekannt gemachte und im Urteil im Einzelnen darzulegende – medizinische Sachkunde verfügt. Daher kann sich das Gericht nicht allein mit der Feststellung begnügen, dass nach dem Auftreten des Beklagten im Termin aufgrund seiner Gebrechlichkeit deutlich erkennbar ist, dass er nicht in der Lage ist, Treppen zu steigen und die Strapazen eines Umzugs auf sich zu nehmen.[5]

Geht das Mietgerich...

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