Die Sozialwidrigkeit einer wegen häufiger Kurzerkrankungen ausgesprochenen ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers ist vom Gericht in 3 Stufen zu prüfen[1]:

1. Stufe: Besorgnis weiterer Erkrankungen

Zunächst ist festzustellen, ob zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektive Tatsachen vorgelegen haben, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang rechtfertigen.

Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können für ein entsprechendes Erscheinungsbild in der Zukunft sprechen. Dann darf der Arbeitgeber sich zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten in der Vergangenheit darzulegen, die entsprechende Fehlzeiten in der Zukunft erwarten lassen. Daraufhin muss der Arbeitnehmer dartun, weshalb mit einer baldigen Genesung zu rechnen ist. Dieser prozessualen Mitwirkungspflicht genügt er bei unzureichender ärztlicher Aufklärung oder Kenntnis von seinem Gesundheitszustand schon dann, wenn er die Behauptung des Arbeitgebers bestreitet und die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet.[2]

2. Stufe: Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen

Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes sozial zu rechtfertigen, wenn sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Diese Beeinträchtigung ist ein Teil des Kündigungsgrundes. Es kommen 2 Arten von Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen in Betracht:

Wiederholte kurzfristige Ausfallzeiten des Arbeitnehmers können zu schwerwiegenden Störungen im Produktionsprozess wie Stillstand von Maschinen, Rückgang der Produktion wegen kurzfristig eingesetzten, erst einzuarbeitenden Ersatzpersonals, Überlastung des verbliebenen Personals oder Abzug von an sich benötigten Arbeitskräften aus anderen Arbeitsbereichen führen (Betriebsablaufstörungen). Solche Störungen sind nur dann als Kündigungsgrund geeignet, wenn sie nicht durch mögliche Überbrückungsmaßnahmen vermieden werden können, z. B. Neueinstellung einer Aushilfskraft, aber auch der Einsatz eines Arbeitnehmers aus einer vorgehaltenen Personalreserve. Die Möglichkeit der Einstellung von Aushilfskräften ist bei Kurzerkrankungen gegenüber Langzeiterkrankungen eingeschränkt.[3]

Ein zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung geeigneter Grund kann auch eine erhebliche wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers sein. Davon ist auszugehen, wenn mit immer neuen beträchtlichen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Arbeitnehmers und entsprechenden Mehraufwendungen für die Beschäftigung von Aushilfskräften zu rechnen ist. Das gilt auch für hohe Entgeltfortzahlungskosten, die für jährlich jeweils einen Zeitraum von mehr als 6 Wochen aufzuwenden sind. Dabei ist nur auf die Kosten des Arbeitsverhältnisses und nicht auf die Gesamtbelastung des Betriebs mit Entgeltfortzahlungskosten abzustellen.[4]

3. Stufe: Interessenabwägung

Liegt nach den vorstehenden Grundsätzen eine erhebliche betriebliche oder wirtschaftliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen vor, so ist in einer 3. Stufe im Rahmen der nach § 1 Abs. 2 KSchG gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls vom Arbeitgeber noch hinzunehmen sind oder ein solches Ausmaß erreicht haben, dass sie ihm nicht mehr zuzumuten sind. Bei der Interessenabwägung ist allgemein zu berücksichtigen, ob die Erkrankungen auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind, ob bzw. wie lange das Arbeitsverhältnis zunächst ungestört verlaufen ist, ferner das Alter und der Familienstand des Arbeitnehmers. Unterhaltspflichten und eine etwaige Schwerbehinderung sind bei der Interessenabwägung stets zu berücksichtigen.[5]

In der 3. Stufe ist ferner zu prüfen, ob dem Arbeitgeber zumutbar ist, die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen durch an sich weitere Überbrückungsmaßnahmen zu verhindern.

Ist ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, hat der Arbeitgeber nach § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX unter Beteiligung des betroffenen Arbeitnehmers und der Interessenvertretung zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Wird eine Kündigung ausgesprochen, ohne zuvor dieses betriebliche Eingliederungsmanagement durchgeführt zu haben, so führt dies nicht ohne Weiteres zur Unwirksamkeit der Kündigung. Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine personenbedingte Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen. Die gesetzliche Regelung ist aber auch nicht nur ein bloßer Programmsatz, sondern Ausprägung des das Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Führt der Arbeitgeber kein betriebliches Eingliederungsmanagement durch, kann dies Folgen für die Darlegungs- und Beweislast im Rahmen der Prüfung der betrieblichen Auswirkungen von erh...

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