"Die Berufung der Bekl. hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang teilweise Erfolg. Im Übrigen hat die weitergehende Berufung der Bekl. ebenso wie die Anschlussberufung der Kl. keinen Erfolg."

Die Bekl. haften der Kl. für den dieser entstandenen und bezifferten sowie den zukünftig noch entstehenden materiellen und immateriellen Schaden nach einer Haftungsquote von 2/3, da die Kl. mit Blick auf ihr eigenes unfallursächliches Verschulden lediglich im Umfang dieser Quote schadensersatzberechtigt ist.

1. Der Anspruch der Kl. ergibt sich aus den §§ 7 Abs. 1, 11 StVG; §§ 823 Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. § 229 StGB; §§ 249, 253 BGB i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG.

Die Haftungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 StVG sind erfüllt. Der Unfall ereignete sich bei Betrieb des Fahrzeugs des Bekl. zu 1. Der Unfall beruhte nicht auf höherer Gewalt i.S.d. § 7 Abs. 2 StVG. Eine Haftungsabwägung nach § 17 StVG findet nicht statt, weil die Kl. ihrerseits nicht mit einem Kfz, sondern mit einem Fahrrad am Unfall beteiligt war.

2. Der Bekl. zu 1 hat gegen § 8 StVO verstoßen.

2.1 Die Kl. war als Benutzerin der übergeordneten Q-Straße gegenüber dem Bekl. zu 1 vorfahrtsberechtigt. Sie hat das ihr grds. zustehende Vorfahrtsrecht gegenüber dem Bekl. zu 1 nicht dadurch verloren, dass sie den kombinierten Geh- und Radweg entgegen der Fahrtrichtung befahren hat, obwohl dieser für eine solche Nutzung in beiden Richtungen nicht freigegeben war. Ein Radfahrer behält auch dann sein Vorfahrtsrecht gegenüber kreuzenden und einbiegenden Fahrzeugen, wenn er verbotswidrig den linken von zwei vorhandenen Radwegen benutzt, der nicht gem. § 2 Abs. 4 S. 2 StVO für die Gegenrichtung freigegeben ist. (BGH v. 15.7.1986 – 4 StR 192/86 – [ … ], Saarl. OLG v. 17.4.2014 – 4 U 406/12 – [ … ]; OLG Hamm v. 26.3.1992 – 6 U 335/91 und 24.10.1996 – 6 U 68/96 – [ … ]; Senat v. 10.3.1995 – 9 U 208/94 – [ … ]). Die den vorgenannten Entscheidungen zugrundeliegende und auch im vorliegenden Fall gegebene identische Konstellation ist abzugrenzen von der 1981 ergangenen Entscheidung des BGH zu der Benutzung einer Einbahnstraße durch einen Radfahrer entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung und ohne Freigabe für die Gegenrichtung, vgl. BGH v. 6.10.1981 – VI ZR 296/79 – [ … ]. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

2.2 Die von den Bekl. erstmals in der mündlichen Verhandlung beim LG aufgeworfene und mit der Berufungsbegründung wiederholte Fragestellung, ob der Bekl. zu 1 darauf habe vertrauen dürfen, dass die Kl. ihn zunächst passieren lassen würde, stellt sich nicht. Die Bekl. greifen zur Konstruktion einer eine Vertrauenssituation schaffenden Ausgangslage auf die Aussage der Zeugin N zurück, in der diese ihren Eindruck schildert, die Beteiligten hätten sich gegenseitig bemerkt, weil die Kl. ihre Fahrgeschwindigkeit in Annäherung an die Einmündung verlangsamt habe und der Mercedesfahrer ohnehin stand. Dieser auf einer reinen Vermutung der Zeugin beruhende Eindruck entbehrt der erforderlichen zugrundezulegenden Tatsachengrundlage. Die Zeugin konnte nicht wissen, ob sich die Beteiligten unmittelbar in der Situation vor dem Unfallgeschehen gegenseitig gesehen und sich über die weitere Fahrweise verständigt hatten. Der eigene Vortrag der Bekl. im vorliegenden Verfahren war nicht geeignet, einen entsprechenden Vertrauenstatbestand in der Person des Bekl. zu 1 in Bezug auf die weitere Verhaltensweise der Kl. und deren Fahrweise zu schaffen. Die Bekl. haben schriftsätzlich zugestanden, dass der Bekl. zu 1 vor dem Abbiegen nach rechts nicht noch einmal nach rechts geschaut habe, nachdem er zuvor gewartet hatte, um von links herannahende Fahrzeuge passieren zu lassen. Ein Vertrauen darauf, dass die Kl. ihn zunächst passieren lassen würde, konnte der Bekl. zu 1 mangels Wahrnehmung der Kl. daher gar nicht begründen.

3. Einen Verstoß des Bekl. zu 1 gegen § 1 Abs. 2 StVO wegen einer schuldhaft verzögerten Reaktion nach der Kollision mit der Kl. vermochte der Senat auch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht festzustellen.

Die unfallanalytische Aufarbeitung des Geschehens durch Prof. T hat es den Prozessparteien ermöglicht, die Entstehung des Unfalls in seinen einzelnen Phasen nachzuvollziehen. Der Senat hofft, dass diese Erkenntnisse der Verarbeitung des Unfallgeschehens in der Person der Kl. förderlich sind.

3.1 Zunächst einmal hat der Sachverständige anhand des ihm zur Verfügung stehenden Spurenmaterials eine Kollisionsgeschwindigkeit des Mercedes von ca. 10 km/h ermitteln können. Dies korrespondiere mit einer Anfahrgeschwindigkeit des Fahrzeugs aus dem Stand heraus von 1,8 m/s2, was der Sachverständige als normal und moderat bezeichnet hat. Der Bekl. zu 1 ist daher nicht mit einem sog. Kavalierstart angefahren. Die Kollisionsgeschwindigkeit der Kl. betrug unter Zugrundelegung des Spurenbildes ca. 12 km/h.

Bei Fassung des Anfahrentschlusses durch den Bekl. zu 1, ca. 2,5 s vor der späteren Kollision, befand sich die Kl., wie in Anlage A 37 des Sachverständigengutachtens dargestellt, für d...

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