Rz. 43
Vermietet ein Vermieter Wohnraum auf unbestimmte Zeit, obwohl er entweder entschlossen ist oder abwägt, ihn alsbald selbst in Gebrauch zu nehmen und den Mieter hierüber nicht aufklärt, setzt er sich mit einer gleichwohl kurze Zeit später ausgesprochenen Eigenbedarfskündigung in Widerspruch zu seinem Verhalten bei Vertragsschluss, weshalb sich die Eigenbedarfskündigung gleichfalls als rechtsmissbräuchlich erweist (BGH, Urteil v. 14.12.2016, VIII ZR 232/15, NJW 2017, 547). Die mit jedem Umzug verbundenen Belastungen sind dem Mieter, der mit einer längeren Mietdauer rechnet, dann nicht zuzumuten, wenn der Vermieter ihn nicht über die Absicht oder zumindest die Aussicht begrenzter Mietdauer aufklärt. Der Mietinteressent muss nicht mit der Möglichkeit eines Eigenbedarfs rechnen und sich beim Vermieter deshalb erkundigen (BGH, Beschluss v. 6.7.2010, VIII ZR 180/09, WuM 2010, 512).
Der Vermieter handelt daher rechtsmissbräuchlich, wenn er bei Vertragsschluss mit dem Mieter ernsthaft erwogen hat, bei zu teurem Ausbau anderen Wohnraums auf die Wohnung des Mieters zuzugreifen und nach knapp einem Jahr wegen Eigenbedarfs kündigt (LG Düsseldorf, Urteil v. 3.2.2016, 23 S 252/14, ZMR 2016, 624). Die Kündigung von Wohnraum für einen Familienangehörigen wegen Eigenbedarfs ist dagegen dann nicht rechtsmissbräuchlich, wenn der Eigenbedarf zwar nur kurze Zeit nach Abschluss des Mietvertrags entstanden ist, bei Abschluss des Mietvertrags aber noch nicht absehbar war (BGH, Urteil v. 20.3.2013, VIII ZR 233/12, GE 2013, 674). Bestehen bei Abschluss eines Mietvertrags erhebliche Ehedifferenzen, begründet alleine dieser Umstand kein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Vermieters, weil er einen künftigen Eigenbedarf hätte in Erwägung ziehen müssen (LG Dessau-Roßlau, Beschluss v. 7.12.2016, 5 T 275/16, juris). Ist erst nach Mietvertragsabschluss die Familienplanung geändert worden, ist die darauf gestützte Eigenbedarfskündigung nicht rechtsmissbräuchlich (AG Westerstede, Urteil v. 26.7.2016, 27 C 396/16, ZMR 2016, 971).
Nur in Ausnahmefällen kann dem Vermieter ein Verstoß gegen Treu und Glauben aus dem Rechtsgedanken des Verbots des widersprüchlichen Verhaltens mit der Folge vorgeworfen werden, dass die Eigenbedarfskündigung als unwirksam anzusehen ist. Befindet sich der Vermieter noch in einem Stadium der Ungewissheit über seine weitere persönliche Entwicklung oder diejenige seiner Angehörigen, für die Eigenbedarf geltend gemacht wird, so ist ihm ein Verstoß gegen Treu und Glauben nicht vorzuwerfen.
Ein konkret voraussehbarer Eigenbedarf, der zur Kündigung kurze Zeit nach Vermietung auf unbestimmte Zeit herangezogen wird, berechtigt jedoch nicht zur Kündigung (daher bedenklich: LG Trier, Urteil v. 2.5.1991, 3 S 426/90, NJW-RR 1992, 718; LG Berlin, Urteil v. 28.9.1992, 61 S 144/92, NJW-RR 1993, 661). Ein Vermieter handelt nicht rechtsmissbräuchlich, wenn er einen unbefristeten Mietvertrag abschließt und hierbei seine dreieinhalb Jahre später eintretende Eigenbedarfssituation lediglich fahrlässig nicht vorhersieht (LG München I, Urteil v. 7.1.2015, 14 S 2367/14, NZM 2015, 932). Weist der Vermieter anlässlich der Novation eines langfristigen Mietvertrags nicht auf einen möglichen Eigenbedarf für seine heranwachsende Tochter hin, steht einer Kündigung des Vermieters, mit der das Mietverhältnis zum Ablauf von rund 4 Jahren nach der Erneuerung des Mietvertrags beendet werden soll, nicht der Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens entgegen (BGH, Urteil v. 21.1.2009, VIII ZR 62/08, NJW 2009, 1139).
Rz. 44
Über den konkret feststehenden zukünftigen Eigenbedarf muss der Vermieter den Mieter bei Vertragsschluss zumindest aufklären (LG Heidelberg, Urteil v. 15.2.1991, 5 S 177/90, WuM 1991, 270; LG Lübeck, Urteil v. 24.6.1993, 14 S 45/93, WuM 1993, 613; LG Paderborn, Urteil v. 23.12.1993, 5 S 262/93, WuM 1994, 331), sonst ist eine Kündigung für längere Zeit ausgeschlossen (LG Ravensburg, Urteil v. 25.10.2001, 6 S 130/01, WuM 2003, 332). Der Mietinteressent muss nicht mit der Möglichkeit eines Eigenbedarfs rechnen und sich beim Vermieter danach erkundigen (BGH, Beschluss v. 6.7.2010, VIII ZR 180/09, GE 2010,1418).
Rz. 45
Die Rechtskraft eines Urteils, mit dem eine auf Eigenbedarf gestützte Kündigung des Vermieters mit der Begründung abgewiesen wird, die Kündigung sei im Hinblick darauf, dass der Mieter bei Abschluss des Mietvertrags nicht auf den bereits absehbaren Eigenbedarf hingewiesen worden sei, "jedenfalls zum fraglichen Zeitpunkt rechtsmissbräuchlich", steht einer erneuten Eigenbedarfskündigung nicht entgegen (LG Berlin, Urteil v. 18.12.2019, 64 S 91/18, GE 2020, 607), erst recht nicht, wenn die erneute Eigenbedarfskündigung auf die Beendigung des Mietverhältnisses erst nach dem Termin der letzten mündlichen Verhandlung des Vorprozesses zielte (BGH, Beschluss v. 17.1.2012, VIII ZR 171/11, a. a. O.). Wird umgekehrt der Räumungsklage stattgegeben, erstreckt sich das Urteil nur auf die Verurteilung zur Räumung, nicht auf die Beurteilung ...