Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame Preisanpassungsklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Energieversorgungsunternehmens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei den Abnehmern eines Erdgas-Versorgungsunternehmens aufgrund von vor dem Inkrafttreten des Energiewirtschaftsgesetzes 2005 (13.7.2005) geschlossenen Verträgen, deren Entgelt nach Tarifen bestimmt wird, die nach typisierten Kriterien wie der Verbrauchsmenge oder der Laufzeit bemessen sind, handelt es sich i.S.v. § 10 EnWG 1998 nicht um Tarifkunden, sondern um Sondervertragskunden.

2. Eine Preisanpassungsklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Energieversorgungsunternehmens, die es in das Ermessen des Versorgers stellt, bei Änderung der Gasbezugskosten die Gaspreise auch während der Laufzeit des Vertrages an die geänderten Gasbezugskosten anzupassen, wobei die Preisänderung sowohl eine Erhöhung als auch eine Absenkung einschließt, ist wegen unangemessener Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders unwirksam, weil der Versorger bei steigenden Gasbezugskosten zwar ein Erhöhungsrecht hat, indessen bei sinkenden Gasbezugskosten zu einer Anpassung seiner Preise nach unten nicht verpflichtet ist. Eine unangemessene Benachteiligung besteht unabhängig davon auch deshalb, weil nicht alle Kostenfaktoren als Maßstab der Erhöhung einbezogen sind.

 

Normenkette

BGB § 307; EnWG 1998 § 10

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 19.06.2006; Aktenzeichen 34 O 611/05)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 07.09.2010; Aktenzeichen 1 BvR 2160/09, 1 BvR 851/10)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - das am 19.6.2006 verkündete Urteil der Zivilkammer 34 des LG Berlin - 34 O 611/05 - teilweise geändert:

Die Klage der Kläger zu 6, 38 und 40 wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Kläger beziehen von der Beklagten Erdgas zum Heizen oder Kochen. Sie wenden sich in einer gemeinsam angestrengten Feststellungsklage gegen die Wirksamkeit einer Preiserhöhung seitens der Beklagten.

Die Kläger werden zu verschiedenen Tarifen mit Gas beliefert, nämlich zu den Tarifen

G.-Vario 1 - abhängig vom Verbrauch (3.001 bis 15.000 kwh/Jahr)

G.-Vario 2 - abhängig vom Verbrauch (15.001 bis 96.000 kwh/Jahr)

G.-Fix 1 und 2 - abhängig von der Vertragslaufzeit

G.-Aktiv - bei Erdgas-Heizung und einem Verbrauch von 8.000 bis 300.000 kwh/Jahr.

Die Beklagte erhöhte zum Oktober 2005 durch Erklärung ggü. den jeweiligen Klägern zu 1 bis 5, 7 bis 37, 39 sowie 41 bis 43 die Gaspreise, nachdem sie bereits im November 2004 die Preise in den Tarifen Vario 1 und 2 und Aktiv um 03 EUR/kWh erhöht hatte. Gegenüber den Klägern zu 6 (B. ), 38 (S.) und 40 (S.), die zu den Tarifen G.-Fix 1 bzw. 2 beliefert werden, bot die Klägerin neue Verträge zum 1.10.2005 zu erhöhten Preisen an. Diese Kläger widersprachen der Preiserhöhung, kündigten die Verträge jedoch nicht. Sie werden weiter von der Beklagten beliefert.

Die Beklagte beruft sich in erster Linie auf ein Preisänderungsrecht nach §§ 4 Abs. 1, 2 AVBGasV. Sie hält die Kläger für Tarifkunden im Sinne des EnWG 1998. Gegenüber den Klägern zu 6, 38 und 40 beruft sie sich darauf, dass nach ihren Geschäftsbedingungen der Vertrag zu den veränderten Bedingungen fortgesetzt worden sei.

Die Kläger haben beantragt, festzustellen, dass die von der Beklagten in den zwischen der Beklagten und jedem einzelnen von ihnen geschlossenen Gaslieferungsverträgen zum 1.10.2005 vorgenommene Erhöhung des Bezugspreises unwirksam ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das LG hat der Klage bis auf diejenige der Kläger der zu 1, 2 und 5 stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagten stehe ein Recht zur Preisänderung nicht zu. Die Preisänderungsklausel der Beklagten in § 3 ihrer AGB sei unwirksam. Die Vorschriften der AVBGasV gälten allenfalls als AGB und seien wegen der Unbestimmtheit des in § 4 Abs. 1, 2 vorausgesetzten Rechts zur Preisänderung insofern ebenfalls unwirksam.

Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil des LG Berlin vom 19.6.2006 zum Geschäftszeichen 34 O 611/05 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst dazu eingereichten Anlagen.

II. Die Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 517, 519, 520 ZPO).

A. Die Klage ist zulässig.

Das Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ...

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