Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorenthalten von Arbeitsentgelt

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Urteil vom 09.04.1990; Aktenzeichen (329) L. Ko. Js. 698/89 Ls (26/90))

 

Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Schöffengerichts Tiergarten in Berlin vom 9. April 1990 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten – Schöffengericht – zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Das Schöffengericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30,– DM verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Sprungrevision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I. Das Schöffengericht hat festgestellt, daß der Angeklagte als Geschäftsführer der … für die Monate Juli bis September 1987 die der AOK als der zuständigen Einzugsstelle der Sozialversicherungsträger und der Bundesanstalt für Arbeit geschuldeten Arbeitnehmerbeitragsanteile in Höhe von insgesamt 23.335,71 DM teils verspätet, teils überhaupt nicht gezahlt hat, weil er den Entschluß gefaßt hatte, zunächst andere wichtige Verbindlichkeiten zu erfüllen. Da jedoch den Arbeitnehmern im Juli und August 1987 der Lohn nur teilweise und im September 1987 überhaupt nicht mehr gezahlt worden war, hat das Schöffengericht nur das Vorenthalten der auf die tatsächlich ausgezahlten Löhne entfallenden Arbeitnehmerbeitragsanteile in Höhe von insgesamt 9.343,18 DM als nach § 266 a Abs. 1 StGB strafbar angesehen.

Demgegenüber ist die Staatsanwaltschaft der Auffassung, daß als strafbares Vorenthalten auch das Nichtabführen solcher Arbeitnehmerbeitragsanteile zu werten ist, die auf teilweise oder gar nicht ausgezahlte Löhne oder Gehälter entfallen.

 

Entscheidungsgründe

II. Der Senat teilt die Auffassung der Staatsanwaltschaft, die der heute herrschenden Lehre entspricht (Dreher/Tröndle, StGB 45. Aufl., Rdn. 11; SK-Samson, StGB 3. Aufl., Rdn. 18 ff; jeweils zu 266 a; Granderath, DB 1986, Beilage 18, S. 10; Martens wistra 1986, 154, 157). Die – soweit ersichtlich – einzige zu diesem Streitpunkt veröffentlichte Gerichtsentscheidung stammt vom Amtsgericht Tiergarten (wistra 1989, 317) und schließt sich ohne weitere Begründung der überwiegenden Literaturmeinung an.

Das Schöffengericht kann seine abweichende Ansicht auf Schönke/Schröder/Lenckner, StGB 23. Aufl., Rdn. 9; Lackner, StGB 18. Aufl., Anm. 3 b aa; jeweils zu § 266 a sowie auf die einhellige Rechtsprechung zu den Vorläufervorschriften des § 266 a StGB stützen (vgl. etwa RGSt 40, 43 und BGH MDR 1982, 245 f).

1. § 266 a StGB ist durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 14. Mai 1986 (BGBl. I, 721) eingeführt worden und am 1. August 1986 in Kraft getreten. Er faßt in den Absätzen 1, 3 und 4 die bisher in den verschiedenen Sozialgesetzen verstreuten Straftatbestände über das Nichtabführen von Arbeitsentgelt in einer Strafvorschrift zusammen. Nach § 266 a Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer als Arbeitgeber Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung oder zur Bundesanstalt für Arbeit (im folgenden: Arbeitnehmerbeiträge) der Einzugsstelle vorenthält.

2. Während das frühere Recht voraussetzte, daß der Arbeitgeber die nicht entrichteten Arbeitnehinerbeiträge zuvor „einbehalten oder erhalten” hatte, genügt jetzt das schlichte „Vorenthalten”. Entgegen der Auffassung des Schöffengerichts kann man jemandem nicht nur vorenthalten, was man aufbewahrt. Der Duden (Deutsches Universalwörterbuch 1983) definiert den Begriff „Vorenthalten” mit „jemandem etwas, worauf er Anspruch hat, nicht geben”. Wer eine fällige Geldschuld nicht zahlt, enthält nach dem allgemeinen Sprachgebrauch seinem Gläubiger die Zahlung ohne Rücksicht darauf vor, ob er das geschuldete Geld in der Tasche, auf dem Konto oder gar nicht hat.

3. Nicht einmal unter der Geltung des früheren Rechts wurde die Annahme eines strafbaren Einbehaltens davon abhängig gemacht, daß der Arbeitgeber das Geld für den Arbeitnehmerbeitrag bei der Lohnauszahlung etwa beiseite legte oder auch nur ausdrücklich darüber abrechnete (Lackner, Anm. 3 b aa zu § 266 a StGB). Vielmehr sah die Rechtsprechung in jeder Lohnauszahlung eine zumindest stillschweigende Kürzung des ausgezahlten Lohns um den Arbeitnehmeranteil (so schon RGSt 40, 43 sogar für die „Nettolohnabrede”, also die Vereinbarung, daß das abgesprochene Entgelt „ohne jeden Abzug” auszuzahlen sei). Ein strafbares Einbehalten wurde erst dann verneint, wenn die Parteien ausdrücklich „Schwarzarbeit” verabredet hatten (vgl. etwa BGH wistra 1982, 111, wonach aber Betrug in Betracht kommen kann). Das aber beruhte offenbar darauf, daß unter der Geltung des alten Rechts der Zweck der nebenstrafrechtlichen Vorschriften in dem Schutz des Arbeitnehmers davor gesehen wurde, daß Teile seines Arbeitseinkommens, zu deren Zahlung an die Sozialversicherung der Arbeitgeber – ähnlich wie ein Treuhänder – verpflichtet ist, nicht abgeführt, also veruntreut wu...

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