Normenkette

StVO § 4 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 24.02.2005; Aktenzeichen 17 O 370/04)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers, die im Übrigen zurückgewiesen wird, wird das am 24.2.2005 verkündete Urteil der Zivilkammer 17 des LG Berlin - 17 O 370/04 - teilweise abgeändert:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 4.058,14 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 20.3.2004 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 1/3 und die Beklagten zu 2/3 zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

Die Berufung ist zulässig und hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Das LG hat die Klage zu Unrecht in voller Höhe abgewiesen.

Die Beklagten sind verpflichtet, dem Kläger den ihm bei dem Verkehrsunfall vom 27.8.2003 gegen 14:30 Uhr in Berlin-Charlottenburg, Autobahn 100 in Richtung Norden, Ausfahrt Kaiserdamm, entstandenen und i.H.v. 75 % eingeklagten Schaden zur Hälfte zu ersetzen.

Soweit das LG eine Sorgfaltspflichtverletzung des Klägers festgestellt hat, ist dies allerdings nicht zu beanstanden; das LG hat aber nicht hinreichend den Fahrfehler der Beklagten zu 1) in die Abwägung nach § 17 StVG eingestellt.

A. Die Ausführungen des LG zur Sorgfaltspflichtverletzung des Klägers auf den S. 4 f. des angefochtenen Urteils sind nicht zu beanstanden.

1. Entgegen der Auffassung des Klägers auf S. 1 der Berufungsbegründung hat es das LG nicht verfahrensfehlerhaft unterlassen, vom Kläger angebotene Beweise zu erheben.

Nach den - übereinstimmenden - Angaben sowohl des Klägers selbst in der mündlichen Verhandlung vor dem LG am 13.1.2005 (S. 2 des Protokolls) als auch der Beklagten zu 1) (S. 3 des Protokolls) war der Kollisionsort ca. 75-100 m von den vor der roten Ampel stehenden Fahrzeugen entfernt.

Der Ort der Kollision war damit unstreitig und nicht beweisbedürftig; den von den Parteien übereinstimmend bezeichneten Kollisionsort hat das LG auch seiner Beurteilung zugrunde gelegt (vgl. S. 5 des Urteils).

2. Nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem LG will der Kläger bei einer Geschwindigkeit von ca. 50 km/h etwa 30 m Abstand zum Pkw der Beklagten zu 1) eingehalten haben (S. 2 des Protokolls vom 13.1.2005). Insoweit hat das LG auf S. 5 oben des angefochtenen Urteils zutreffend darauf hingewiesen, dass in diesem Falle dem Kläger bei einer Notbremsung das Anhalten ohne Kollision hätte gelingen müssen; denn der Anhalteweg auf der laut polizeilicher Unfallaufnahme trockenen Straße beträgt nach den Angaben des Klägers zwischen 27,7 und 25,2 m (vgl. Anhaltewegtabelle bei Kuckuk/Werny, Straßenverkehrsrecht, 8. Aufl., S. 1341).

§ 4 Abs. 1 StVO verlangt, den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug grundsätzlich so zu wählen, dass auch dann hinter ihm angehalten werden kann, wenn plötzlich stark gebremst wird (KG v. 11.7.2002 - 12 U 9923/00, KGReport Berlin 2003, 21 = VersR 2002, 1571 = NZV 2003, 41 = VRS 104, 103).

B. Soweit das LG allerdings auf S. 5 des angefochtenen Urteils ausführt, die Beklagte habe "nicht ohne zwingenden Grund gebremst" und der Kraftfahrer dürfe "plötzlich stark bremsen, ohne nicht den rückwärtigen Verkehr zu beobachten", ist dieser Grundsatz in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend und passt nicht auf den Streitfall. Vielmehr betreffen die vom LG zitierten Entscheidungen des KG das Anhalten vor einer Ampel, die unmittelbar vor dem Kraftfahrer auf "Gelb" schaltet mit der Folge, dass er deshalb scharf bremst.

So war es im Streitfall jedoch nicht; vielmehr hat die Beklagte zu 1) im Abstand von etwa 75-100 m von vor der roten Ampel stehenden Fahrzeugen eine Vollbremsung vollzogen, weil sie mit dem Automatik-Fahrzeug nicht vertraut war und mit dem linken Fuß - in der Vorstellung die Kupplung zu treten - eine Vollbremsung vollzogen hat.

§ 4 Abs. 1 S. 2 StVO ordnet an: "Der Vorausfahrende darf nicht ohne zwingenden Grund bremsen".

Gegen dieses Gebot hat die Beklagte zu 1) verstoßen. Auch wenn damit - wie das LG zutreffend bemerkt - der zu Lasten des Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis nicht erschüttert ist, steht damit jedoch eine Sorgfaltspflichtverletzung der vorausfahrenden Beklagten zu 1) fest, die im Rahmen der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile nach § 17 Abs. 1 StVG zu berücksichtigen ist.

Treffen starkes Bremsen ohne zwingenden Grund und unzureichender Sicherheitsabstand und/oder Unaufmerksamkeit zusammen, so fällt der Beitrag des Auffahrenden nach der Rechtsprechung des KG grundsätzlich doppelt so hoch ins Gewicht (KG v. 11.7.2002 - 12 U 9923/00, KGReport Berlin 2003, 21 = VersR 2002, 1571 = NZV 2003, 41 = VRS 104, 103). Das führt dazu, dass der Auffahrende vom Vorausfahrenden in der Regel Schadensersatz nach einer Quote von 1/3 verlangen kann.

Eine ungünstigere Mithaftungsquote zu Lasten des Abbremsenden ist jedoch dann geboten, wenn der Auffahrende den Verkehrsraum vor dem Vorausfahrenden überschauen konnte und er aus diesem Grund nicht mit einem Abbrem...

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