Normenkette

StVO §§ 35, 38

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 24 O 626/97)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten zu 2) wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung des Klägers, die i.Ü. zurückgewiesen wird, wird das am 30.11.1998 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des LG Berlin – 24 O 626/97 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte zu 2) wird verurteilt, an den Kläger 25.053,71 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1.12.1997 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten des ersten Rechtszuges haben der Kläger und der Beklagte zu 2) je die Hälfte zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) im ersten Rechtszug hat der Kläger zu tragen, diejenigen des Beklagten zu 2) hat dieser selbst zu tragen.

Der Beklagte zu 2) hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer übersteigt für keine der Parteien 60.000 DM.

 

Gründe

I. Berufung des Beklagten zu 2)

Die Berufung des Beklagten zu 2) bleibt erfolglos.

1. Das LG hat ihm i.E. zu Recht eine Haftung für die Schäden des Klägers aus dem Zusammenstoß seines Zollfahrzeuges (VW Golf, B-…, im Unfallzeitpunkt mit zivilem Kennzeichen B-…) mit dem Taxi des Klägers jedenfalls zu 50 % auferlegt (§§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 839 BGB, Art. 34 GG), denn der Fahrer des Zollfahrzeuges hat die für ihn durch Rotlicht gesperrte Kreuzung „Platz der Vereinten Nationen” in nördlicher Richtung sorgfaltswidrig überquert und dadurch den Unfall verursacht.

a) Auch für das Überqueren einer durch Rotlicht gesperrten Kreuzung kann ein Vorrang eines Dienstfahrzeuges durch rechtzeitiges Einschalten von Blaulicht und Martinshorn geschaffen werden (st. Rspr. BGHZ 63, 327 = MDR 1975, 392 = NJW 1975, 648; KG DAR 1975, 78 = VersR 1976, 887; DAR 1976,16 = VersR 1976, 193; VerkMitt 1998, 36; v. 13.10.1988 – 12 U 6020/86, NZV 1989, 192 = VersR 1989, 268; VerkMitt 1998,14; v. 14.7.1997 – 12 U 1541/96, MDR 1997, 1121 = KGReport 1997, 211; VerkMitt 1998, 90). Dieses Wegerecht wird durch die Signale „Martinshorn und Blaulicht” eines Einsatzfahrzeuges ausgelöst, und das Gebot nach § 38 Abs. 1 S. 2 StVO, freie Bahn zu schaffen, ist von den anderen Verkehrsteilnehmern unbedingt und ohne Prüfung des Wegerechts zu befolgen (KG v. 14.7.1997 – 12 U 1541/96 = MDR 1997, 1121 = KGReport 1997, 211; VerkMitt 1998, 14).

Das bedeutet jedoch nicht, dass der Fahrer eines Dienstfahrzeuges „blindlings” oder „auf gut Glück” in eine Kreuzung bei rotem Ampellicht einfahren darf. Er darf vielmehr auch unter Inanspruchnahme von Sonderrechten bei rotem Ampellicht erst dann in die Kreuzung einfahren, wenn er den sonst bevorrechtigten Verkehrsteilnehmern rechtzeitig zu erkennen gegeben hat, solche Rechte in Anspruch nehmen zu wollen und sich überzeugt hat, dass ihn alle anderen Verkehrsteilnehmer wahrgenommen und sich auf seine Absicht eingestellt haben. Erst unter diesen Voraussetzungen darf er darauf vertrauen, dass ihm von den anderen Verkehrsteilnehmern freie Fahrt gewährt wird (§ 35 Abs. 8 StVO; BGH BGHZ 63, 327 = MDR 1975, 392; KG v. 14.7.1997 – 12 U 1541/96 = MDR 1997, 1121 = KGReport 1997, 211).

Der Fahrer des Einsatzfahrzeuges, der bei für ihn rotem Ampellicht eine Kreuzung überqueren will, muss sich vorsichtig in diese vortasten, um sich auf diese Weise davon zu überzeugen, ob sämtliche Teilnehmer des Querverkehrs die Signale wahrgenommen haben (KG, Urt. v. 5.3.1994 – 12 U 3820/83, VerkMitt 1985, 4 [LS]). Bei einer unübersichtlichen Kreuzung kann das sogar die Verpflichtung bedeuten, nur mit Schrittgeschwindigkeit einzufahren (KG VerkMitt 1982, 37; v. 13.10.1988 – 12 U 6020/86, VerkMitt 1989, 36 = VersR 1989, 268 = NZV 1989, 192). Angesichts seiner durch die besondere Gefahrenlage verstärkten Sorgfaltspflicht kann es im Einzelfall für den Fahrer des Einsatzfahrzeuges durchaus zumutbar sein, sein Fahrzeug fast zum Stillstand abzubremsen, um auf diese Weise eine hinreichende Übersicht über die Verkehrslage zu gewinnen (KG, Urt. v. 24.9.1990 – 12 U 4980/89).

Die Verpflichtung, dem Einsatzfahrzeug freie Bahn zu verschaffen, trifft die anderen Verkehrsteilnehmer also erst, nachdem sie das Blaulicht und das Martinshorn wahrgenommen haben oder bei gehöriger Aufmerksamkeit hätten wahrnehmen können (BGH VersR 1975, 380 = NJW 1975, 648 = DAR 1975, 111 = VerkMitt 1975 Nr. 33; KG VersR 1976, 193; VerkMitt 1981, 95; v. 5.3.1984 – 12 U 3820/83; Urt. v. 12.6.1989 – 12 U 41 27/88; v. 20.1.1993 – 12 U 4863/93). Der Fahrer eines Einsatzwagens darf zwar annehmen, dass Fahrer von Fahrzeugen in der Nähe (50 m) die obigen Zeichen wahrnehmen (BGH NJW 1959, 339), muss dabei aber beachten, dass andere Verkehrsteilnehmer der Verpflichtung des § 38 Abs. 1 S. 2 StVO, sofort freie Bahn zu schaffen, erst nachkommen können, nachdem sie diese Signale haben wahrnehmen können. Hiernach muss den übrigen Verkehrsteilnehmern eine zwar kurz zu bemessende, aber doch hinreichende Zeit zur Verfügung stehen, um auf die besonderen Zeichen nach § 38...

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