Normenkette

BGB §§ 138, 607

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 10 O 610/00)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Berlin vom 22.3.2001 – 10 O 610/00 – geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Höchstbetragsbürgschaft in Anspruch. Der Ehemann der Beklagten, der damals wie die Beklagte seit längerem (1991) arbeitslos war, beabsichtigte im Jahre 1993, zur Existenzgründung von der E.-AG eine Großtankstelle an der Z.-Straße in L. zu pachten. Die Beklagte sollte ihn dabei unterstützen. Zu diesem Zweck nahmen beide ab April 1993 an Schulungen der E.-AG teil. Zur Deckung des erheblichen Finanzbedarfes nahm der Ehemann verschiedene Kredite u.a. auch bei der Rechtsvorgängerin der Klägerin auf, und zwar ein Existenzgründungsdarlehen über 364.000 DM, einen Betriebsmittelkredit über 150.000 DM sowie ein Praxis- und Betriebsdarlehen über 73.000 DM. Hierfür übernahm die Beklagte am 10.9.1993 eine Höchstbetragsbürgschaft bis zu 587.000 DM (K 6).

Im Mai 1994 eröffnete der Ehemann die Tankstelle und führte sie aufgrund eines entsprechenden Pachtvertrages mit der E.-AG als Pächter und Firmeninhaber. Die Beklagte war bei ihm angestellt und erhielt ein Gehalt von 3.956 DM brutto/2.566 DM netto.

Nachdem die E.-AG im Frühjahr 1996 den Pachtvertrag mit dem Ehemann wegen unbefriedigenden Geschäftsverlaufes gekündigt hatte, kündigte die Klägerin ihrerseits sämtliche Darlehensverträge mit dem Ehemann und nahm mit Schreiben vom 30.11.1998 die Beklagte aus der Bürgschaft in Anspruch. Da unstreitig die Forderung der Klägerin gegen den Ehemann der Beklagten den Höchstbetrag übersteigt, verlangt sie von der Beklagten die Zahlung des gesamten Bürgschaftsbetrags.

Die Klägerin hat vorgetragen, die Tankstelle sei von der Beklagten und ihrem Ehemann als Familienbetrieb gemeinsam geführt worden. Sie sei dessen gleichberechtigte Partnerin gewesen. Der Angestelltenvertrag sei nur aus steuerlichen Gründen geschlossen worden.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 587.000 DM nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank/Basiszinssatz seit dem 1.12.1998 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, der Angestellte der Klägerin H. habe die Übernahme der Bürgschaft lediglich als Formsache bezeichnet.

Das LG hat über diese Frage Beweis erhoben. Auf das entsprechende Protokoll vom 22.3.2001 wird Bezug genommen.

Das LG hat der Klage bis auf einen Teil des Zinsanspruchs stattgegeben.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die ihr Vorbringen in den Schriftsätzen vom 30.7.2001 (II, 9 ff.) und 5.2.2002 (II, 33 ff.) wiederholt und vertieft.

Die Beklagte beantragt, unter Änderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen der Beklagten nach Maßgabe des Schriftsatzes vom 28.9.2001 (II, 26 ff.) entgegen.

Wegen des Parteivorbringens i.Ü. wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch aus der Bürgschaft vom 10.9.1993 nicht zu, weil diese gegen die guten Sitten verstößt und damit gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist.

Gemäß § 138 Abs. 1 BGB ist eine Bürgschaft insb. dann nichtig, wenn der aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner handelnde Bürge finanziell krass überfordert wird und die Bürgschaft sich aus Sicht eines vernünftig denkenden Gläubigers als wirtschaftlich sinnlos erweist. Der Bürge ist krass überfordert, wenn die Verbindlichkeit, für die er einstehen soll, so hoch ist, dass bereits bei Vertragsschluss nicht zu erwarten ist, er werde – wenn sich das Risiko verwirklicht – die Forderung des Gläubigers wenigstens zu wesentlichen Teilen tilgen können. Davon ist bei nicht ganz geringfügigen Hauptschulden jedenfalls dann auszugehen, wenn der Bürge voraussichtlich nicht einmal die laufenden Zinsen der Hauptschuld aufzubringen vermag (BGH WM 2000, 411).

So liegt der Fall hier, wie das LG zutreffend dargestellt hat. Es bedarf keiner näheren Begründung, dass die zum Zeitpunkt der Begründung der Bürgschaftsverpflichtung arbeitslose Beklagte bei vernünftiger Betrachtungsweise zu keinem Zeitpunkt in der Lage war, im Bürgschaftsfall für die Hauptschuld oder auch nur für die damit einhergehenden Zinsbelastungen von nahezu 4.000 DM monatlich aufzukommen. Dabei war das zukünftige Einkommen der Beklagten als Angestellte im Betrieb des Hauptschuldners von 3.956 DM brutto/2.566 DM netto, das dafür ohnehin nicht ausgereicht hätte, nicht zu berücksichtigen, weil im Bürgsch...

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