Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 06.03.2012; Aktenzeichen 514 Qs 8/12)

 

Tenor

Auf die weitere Beschwerde des Bezirksrevisors des Amtsgerichts Tiergarten wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 6. März 2012 aufgehoben.

Die Rechtsanwalt O. aus der Landeskasse zu zahlende Pflichtverteidigervergütung wird auf 314,16 Euro festgesetzt.

Das Verfahren über die weitere Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten - Strafrichter - hat gegen den in der Hauptverhandlung am 21. Juli 2011 nicht erschienenen Angeklagten nach § 408a StPO einen Strafbefehl erlassen und wegen Steuerhinterziehung in fünf Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung festgesetzt. Zugleich hat es dem Angeklagten gemäß § 408b StPO Rechtsanwalt O., der zuvor das Wahlmandat niedergelegt hatte, als Verteidiger bestellt. Nach Zustellung des Strafbefehls hat der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf die ihm erteilte Vollmacht erklärt, er "bestelle" sich zum Verteidiger des Beschuldigten und lege gegen den Strafbefehl Einspruch ein. In der Hauptverhandlung vom 9. Januar 2012 hat der Angeklagte den Einspruch in Anwesenheit des Verteidigers nach kurzer Verhandlung zur Sache zurückgenommen. Unter dem 10. Januar 2012 hat Rechtsanwalt O. die Erstattung der Pflichtverteidigergebühren in Höhe von insgesamt 533,12 Euro beantragt und nach Abzug des Vorschusses von 290,36 Euro Zahlung von noch 242,76 Euro verlangt. Dabei hat er neben der Grund- und der Verfahrensgebühr auch die Terminsgebühr für den 9. Januar 2012 in Höhe von 184,- Euro angesetzt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die Terminsgebühr nicht anerkannt und am 13. Januar 2012 die dem Verteidiger aus der Landeskasse noch zu zahlende Vergütung auf 23,80 Euro festgesetzt. Der Strafrichter hat die Erinnerung des Rechtsanwalts, der die Urkundsbeamtin nicht abgeholfen hatte, mit Beschluss vom 31. Januar 2012 zurückgewiesen. Auf die Beschwerde des Verteidigers hat das Landgericht den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten aufgehoben, die ihm aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung unter Anerkennung der Terminsgebühr und der hierauf bezogenen Umsatzsteuer auf 533,12 Euro festgesetzt und wegen der grundsätzlichen Bedeutung die weitere Beschwerde zugelassen. Mit der weiteren Beschwerde wendet sich der Bezirksrevisor des Amtsgerichts Tiergarten gegen die Ansetzung der Terminsgebühr.

Die weitere Beschwerde ist zulässig. Denn das Landgericht hat sie in dem angefochtenen Beschluss zugelassen (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 RVG), und sie ist auch rechtzeitig (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG).

Das Rechtsmittel ist auch begründet. Dem Beschwerdegegner steht für den Hauptverhandlungstermin vom 9. Januar 2012 keine Vergütung aus der Landeskasse zu. Er hat den Termin nicht als Pflicht-, sondern als Wahlverteidiger wahrgenommen.

1. Seine Bestellung nach § 408b StPO bezog sich nur auf das Strafbefehlsverfahren. Der nach dieser Vorschrift bestellte Verteidiger kann für den Angeklagten wirksam Einspruch einlegen (§ 410 StPO); damit endet allerdings seine Beiordnung. Die Bestellung gilt daher nicht für die Hauptverhandlung (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 2002, 390; StraFo 2008, 441; AG Höxter NJW 1994, 2842; LG Aurich, Beschluss vom 12. August 2009 - 12 Qs 90/09 - bei juris; LG Dresden, Beschluss vom 5. Juli 2006 - 3 Qs 78/06 - bei juris; Meyer-Goßner, StPO 54. Aufl., § 408b Rdn. 6; KMR-Metzger, StPO, § 408b Rdn. 10; Hohendorf, MDR 1993, 598; Lutz, NStZ 1998, 396). Würde die Bestellung nach § 408b StPO auch die Hauptverhandlung erfassen, ergäbe sich ein Wertungswiderspruch zu § 140 StPO und eine unangemessene Benachteiligung des im Normalverfahren Angeklagten. Denn der Angeklagte, gegen den ein Strafbefehl mit der Rechtsfolge aus § 407 Abs. 2 StPO erlassen worden ist, wäre in der Hauptverhandlung stets durch einen bestellten Rechtsanwalt verteidigt. Der im Normalverfahren nach § 200 StPO Angeklagte, der gegebenenfalls sogar eine unbedingte Freiheitsstrafe gewärtigen muss, genießt diesen Rechtsvorteil hingegen nur unter den (engen) Voraussetzungen des § 140 StPO (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 2002, 290; Meyer-Goßner aaO.).

Die Gegenmeinung, welche die Bestellung gleichwohl auch auf die Hauptverhandlung erstrecken will (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2010, 30; OLG Celle NStZ-RR 2011, 295; KK-Fischer, StPO 6. Aufl., § 408b Rdn. 8; LR-Gössel, StPO 26. Aufl., § 408b Rdn. 12; HK-Kurth, StPO 4. Aufl., § 408b Rdn. 6; Böttcher, NStZ 1993, 153; Schellenberg, NStZ 1994, 570), überzeugt nicht. Zwar beschränkt § 408b die Reichweite der Bestellung - anders als § 118a Abs. 2 Satz 3 StPO ("für die mündliche Verhandlung"), § 350 Abs. 3 StPO ("für die Hauptverhandlung") und § 418 Abs. 4 StPO ("für das beschleunigte Verfahren") - nicht ausdrücklich. Die Begrenzung ergibt sich aber bereits daraus, dass der Gesetzgeber die Vorschrift über die Bestellung des Verteidigers in den Abschnitt über das Strafbefehlsverfahren (§§ 407 ff. StPO) eingestellt hat. Hät...

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