Entscheidungsstichwort (Thema)

Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen der vorzeitigen Gestattung des Zuschlags auch deshalb nicht gegeben, weil die durch das Nachprüfungsverfahren eingetretenen Verzögerungen im Bereich des Trägers der Antragstellerin, des Landes Berlin, liegen. Das Land Berlin hat maßgeblich dazu beigetragen, dass der Antragstellerin der ihr gebührende kartellvergaberechtliche Rechtsschutz nicht in dem gesetzlich vorgesehenen Zeitraum gewährt werden konnte. Denn es gehört zu den Pflichtaufgaben des Landes Berlin, dafür Sorge zu tragen, dass die von ihm einzurichtenden Vergabekammern die Nachprüfungsanträge grundsätzlich in der vorgesehenen Frist von fünf Wochen in dem dafür vorgesehenen Verfahren erledigen können. Dies ist derzeit ersichtlich nur im Zuständigkeitsbereich der 2. Vergabekammer des Landes Berlin der Fall, nicht jedoch bei der 1. Vergabekammer. Hier wäre es Sache des Landes Berlin, unverzüglich für eine hinreichende personelle Ausstattung Sorge zu tragen und möglicherweise - zumindest vorübergehend - auch noch eine weitere, dritte Vergabekammer zu errichten und mit geeignetem Personal zu besetzen. Solange dies nicht geschehen ist, dürfte eine vorzeitige Gestattung des Zuschlags für öffentliche Auftraggeber des Landes Berlin in der Regel jedenfalls dann nicht in Betracht kommen, wenn die geltend gemachten Nachteile auf übermäßigen, auf einer unzureichenden Ausstattung beruhenden Verzögerungen bei der Erledigung der Nachprüfungsverfahren beruhen. (Rn. 12)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine teilweise vorzeitige Gestattung des Zuschlags nach § 169 Abs. 2 Satz 1 GWB ist unzulässig. (Rn. 4)

2. Fehlende Erfolgsaussichten rechtfertigen die vorzeitige Gestattung des Zuschlags nach § 169 Abs. 2 Satz 1 GWB grundsätzlich nur, wenn der Nachprüfungsantrag offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist. Fehlt es an der Offensichtlichkeit, kommt eine vorzeitige Gestattung des Zuschlags nur in Betracht, wenn die von dem Auftraggeber vorgesehene Beschaffung unmöglich oder unzumutbar verzögert würde und zu erwarten ist, dass dies die Funktionsfähigkeit und Aufgabenerfüllung des Auftraggebers spürbar beeinträchtigen würde, sofern der öffentliche Auftraggeber die Verzögerungen nicht zu vertreten hat. (Rn. 7)

 

Normenkette

GWB § 169 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

VK Berlin (Beschluss vom 17.12.2021; Aktenzeichen VK-B1-30/21)

 

Tenor

Auf den Antrag der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer des Landes Berlin, 1. Beschlussabteilung vom 17. Dezember 2021 - VK-B1-30/21 - aufgehoben und das Verbot des Zuschlags wiederhergestellt. Der Antrag der Antragsgegnerin auf vollständige Gestattung wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen, wobei außergerichtliche Kosten der Beigeladenen nicht zu erstatten sind.

Der Streitwert des Antragsverfahrens wird auf 32.500 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Anträge der Antragstellerin, das Verbot des Zuschlags nach § 169 Abs. 1 GWB in Abänderung des Beschlusses der Vergabekammer vom 17. Dezember 2021 wiederherzustellen, und der Antragsgegnerin, den von der Vergabekammer nur teilweise erlaubten Zuschlag insgesamt zu gestatten, sind nach § 169 Abs. 2 S. 6 und 7 GWB statthaft und auch im Übrigen nach Maßgabe von § 169 Abs. 1 S. 8 GWB in Verbindung mit § 176 Abs. 2 S. 1 und 2 GWB zulässig. Über sie konnte der Senat gemäß § 169 Abs. 2 S. 8 GWB in Verbindung mit § 176 Abs. 3 S. 2 GWB ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Soweit die Antragsgegnerin meint, der Antragstellerin fehle das Rechtsschutzbedürfnis für ihren Antrag, weil sie, die Antragsgegnerin, bei dessen Erfolg nicht gewillt sei, der Antragstellerin den Auftrag zu dem dann maßgeblichen Inhalt der Leistungsbeschreibung zu erteilen, verkennt die Antragsgegnerin, dass dann gemäß § 168 Abs. 2 S. 2 GWB zumindest die Feststellung von Sekundäransprüchen zum Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens gemacht werden könnte. Im Übrigen könnte sich die Antragstellerin auch an einer geänderten oder neuen Ausschreibung mit der Chance, den Zuschlag zu erhalten, beteiligen.

II. Der Antrag der Antragstellerin ist begründet, während der der Antragsgegnerin unbegründet ist. Die Vergabekammer durfte der Antragsgegnerin nicht nach § 169 Abs. 2 S. 1 GWB den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen für den Zeitraum eines Jahres gestatten.

1. Zu beanstanden ist bereits, dass die Vergabekammer den Zuschlag nur für einen gegenüber der ausgeschriebenen Laufzeit begrenzten Zeitraum gestattet hat. Eine teilweise Gestattung des Zuschlags nach § 169 Abs. 2 S. 1 GWB ist unzulässig. Die Vorschrift erlaubt der Vergabekammer, dem öffentlichen Auftraggeber auf dessen Antrag oder auf Antrag des für den Zuschlag vorgesehenen Beteiligten unter den dort genannten Voraussetzungen zu gestatten, (insgesamt) den Zuschlag zu erteilen. Die Erteilung des Zuschlags vollzieht sich in der Annahme des Angebotes über die ausgeschriebene Leistung. Die von der Vergabekammer möglicherweise wegen des vergaberechtlichen Verhältnismäßigkeit...

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