Leitsatz (amtlich)

1. Die Entscheidung des Landgerichts, das rechtsirrig annimmt, der Beschuldigte habe Beschwerde eingelegt, wird dadurch nicht zu einer - der weiteren Anfechtung entzogenen - Beschwerdeentscheidung.

2. Die Erklärung eines Verfahrensbeteiligten gilt nicht erst dann als Beschwerde, wenn sie subjektiv als Beschwerde gemeint war, sondern bereits dann, wenn sie aufgrund einer vertretbaren Auslegung des Gerichts als Beschwerde gelten kann.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 03.09.2020; Aktenzeichen 515 Qs 81/20 (433 Gs 6/20 Jug)

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 11.06.2020; Aktenzeichen 339 Gs 59/20)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 3. September 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur Entscheidung über den Antrag des Beschuldigten

1. auf Aufhebung der mit Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 11. Juni 2020 angeordneten vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 2 StPO) und

2. die Herausgabe des unter Listennummer xxx erteilten Führerscheins, dessen Beschlagnahme das Amtsgericht Tiergarten mit Beschluss vom 11. Juni 2020 bestätigt hat,

an das Amtsgericht Tiergarten verwiesen.

 

Gründe

I.

Gegen den Beschuldigten wird ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d Abs.1 Nr.1 StGB) geführt.

Der Führerschein des Beschuldigten ist am 31. März 2020 beschlagnahmt worden. Auf den Widerspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht Tiergarten durch Beschluss vom 11. Juni 2020 (Az.: 339 Gs 59/20) dem Beschuldigten gemäß § 111a Abs. 1 StPO die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen vorläufig entzogen und die Beschlagnahme des Führerscheins bestätigt.

Am 29. Juni 2020 hat die zuständige Polizeidienststelle weitere Ermittlungsergebnisse zu den Akten übersandt, unter anderem von Zeugen ausgefüllte Fragebögen sowie Schlussberichte.

Mit Schriftsatz vom 17. August 2020 hat der Verteidiger des Beschuldigten eine schriftliche Stellungnahme zum Tatvorwurf zu den Akten übermittelt. Er hat eingangs wörtlich beantragt, "die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a Abs.1 StPO...nach § 111a Abs.2 StPO (Unterstreichung im Schriftsatz) aufzuheben sowie den beschlagnahmten Führerschein ...herauszugeben". Außerdem hat er eine Einlassung für den Beschuldigten abgegeben, Ausführungen zu dem seiner Ansicht nach nicht bestehenden hinreichenden Tatverdacht unter Würdigung des aktuellen Ergebnisses der Ermittlungen gemacht und die Ansicht vertreten, das Verfahren sei nach § 170 Abs. 2 StPO einzustellen. Auf die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft, die einer Aufhebung des Beschlusses entgegengetreten ist, hat der zuständige Amtsrichter mit Verfügung vom 21. August 2020 vermerkt, dass der Vortrag des Beschuldigten vom 17. August 2020 als Beschwerde anzusehen sei, der er nicht abhelfe. Mit Beschluss vom 3. September 2020 hat das Landgericht Berlin die Beschwerde des Beschuldigten aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung des Amtsgerichts vom 11. Juni 2020 verworfen.

Mit Schriftsatz vom 10. September 2020 hat der Beschuldigte Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts eingelegt. Zur Begründung hat er geltend machen lassen, seine mit Schriftsatz vom 17. August 2020 abgegebene Erklärung sei nicht als Beschwerde gemeint gewesen, sondern als selbstständiger Aufhebungsantrag nach § 111a Abs. 2 StPO. Im Hinblick auf den eindeutig formulierten Wortlaut seines Antrags sei kein Raum für eine Auslegung der Erklärung als - auch nicht bedingte - Beschwerde gewesen.

Am 24. September 2020 ist das Verfahren gegen den Beschuldigten und den ebenfalls Beschuldigten Bxxx, der zur mutmaßlichen Tatzeit Heranwachsender war, beim Jugendrichter (Az.: 433 Gs 6/20 Jug) eingetragen worden.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 3. September 2020 aufzuheben und die Sache zur Entscheidung über den Antrag nach § 111a Abs.2 StPO an das Amtsgericht zu verweisen. Zur Begründung wird ausgeführt, es sei kein Raum für die Auslegung des Antrages des Beschuldigten als Beschwerde gewesen, weshalb das Landgericht keine Beschwerde-, sondern eine Erstentscheidung getroffen habe, die daher beschwerdefähig sei. Die vom Beschuldigten begehrte Entscheidung des Amtsgerichts nach § 111a Abs. 2 StPO stehe - nach Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts - nach wie vor aus.

II.

1.

Die Beschwerde des Beschuldigten ist statthaft und nicht gemäß § 310 Abs. 2 StPO ausgeschlossen, denn es handelt sich nicht um eine weitere Beschwerde im Sinne dieser Vorschrift.

a)

Gemäß § 310 Abs. 2, Abs. 1 StPO findet eine weitere Anfechtung einer auf eine Beschwerde ergangenen Entscheidung nur in den in Absatz 1 genannten Fällen statt, die hier nicht vorliegen. Gleichwohl ist die Beschwerde hier statthaft, weil das Landgericht, dessen Entscheidung mit der Beschwerde angefochten wird, nicht auf eine Beschwerde hin entschieden hat, sondern eine erstinstanzliche Entscheidung getroffen hat. Die Entscheidung des Landgerichts, d...

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