Leitsatz (amtlich)
1. Nach § 121 Abs. 1, Abs. 2 StPO hat das Oberlandesgericht über die Fortdauer des Vollzugs der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur zu befinden, solange kein Urteil ergangen ist, das auf Freiheitsstrafe (oder eine freiheitsentziehende Maßregel) erkennt, wobei es auf dessen Rechtskraft nicht ankommt.
2. Ist ein solches Urteil ergangen, so lebt die Prüfungskompetenz des Oberlandesgerichts nach den §§ 121, 122 StPO auch dann nicht wieder auf, wenn das Berufungsgericht das Verfahren wegen Verhandlungsunfähigkeit des Beschuldigten vorläufig einstellt, das Urteil hierdurch gegenstandslos wird und die Staatsanwaltschaft sodann ein neues (Sicherungs-)Verfahren wegen derselben Tatvorwürfe einleitet.
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 28.08.2020; Aktenzeichen (351 Gs) 265 Js 968/20 (2620/20)) |
Tenor
Eine Entscheidung des Senats ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
Gegen den seit mehreren Jahren im Trinkermilieu am Alexanderplatz verkehrenden Beschuldigten ist nach seiner dortigen vorläufigen Festnahme am 5. April 2019 durch das Amtsgericht Tiergarten - (382 Gs) 219 Js 473/19 (95/19) - am 6. April 2019 zunächst ein Haftbefehl wegen des dringenden Tatverdachts der am 5. April 2019 begangenen vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit versuchtem Raub erlassen worden. Dieser Tatvorwurf war neben weiteren Körperverletzungsvorwürfen und dazu überwiegend tateinheitlich begangenen Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte bzw. tätlichen Angriffen auf Vollstreckungsbeamte Gegenstand der durch die Staatsanwaltschaft Berlin unter dem Aktenzeichen 265 Js 666/19 zum Amtsgericht Tiergarten - Erweitertes Schöffengericht - erhobenen Anklage vom 17. Mai 2019.
Während der laufenden Hauptverhandlung hob das Amtsgericht - (216 Ls) 265 Js 666/19 (19/19) - den Haftbefehl vom 6. April 2019 am 14. Oktober 2019 auf und ordnete zugleich die einstweilige Unterbringung des Beschuldigten an (§ 126a Abs. 1 StPO). Gegenstand des Unterbringungsbefehls waren Taten vom 15. September 2016, 30. April 2017, 16. und 25. August 2018 und 9. Dezember 2018 sowie das Tatgeschehen vom 5. April 2019.
Am 9. Dezember 2019 verurteilte das Amtsgericht Tiergarten den Beschuldigten schließlich wegen versuchten Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie in einem weiteren Fall in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung, wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Zugleich ordnete es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt an und hielt den Unterbringungsbefehl aufrecht. Der Verurteilung lagen ausschließlich die vom Unterbringungsbefehl erfassten Taten zugrunde. Gegen das amtsgerichtliche Urteil legten sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Beschuldigte fristgerecht Berufung ein. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Berufung sodann auf den Maßregelausspruch beschränkt.
Mit Beschluss vom 26. Juni 2020 stellte das Landgericht Berlin das Verfahren gemäß § 206a StPO wegen dauerhafter Verhandlungsunfähigkeit des Beschuldigten ein und hob den Unterbringungsbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 14. Oktober 2019 auf. Zur Begründung führte die ebenfalls sachverständig beratene Kammer aus, dass bei dem Beschuldigten ein sogenanntes amnestisches Syndrom vorliege und nach Eröffnung des Hauptverfahrens der Übergang in das die Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten nicht voraussetzende Sicherungsverfahren nicht mehr möglich sei.
Mit Verfügung vom 17. Juli 2020 leitete die Staatsanwaltschaft unter dem Aktenzeichen 265 Js 968/20 sodann ein neues Verfahren gegen den Beschuldigten ein, das als Sicherungsverfahren mit dem Ziel der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus betrieben wird.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das Amtsgericht Tiergarten - (351 Gs) 265 Js 968/20 (2620/20) - in dem neu eingeleiteten Verfahren am 28. August 2020 einen Unterbringungsbefehl erlassen, der ausschließlich dieselben Tatvorwürfe zum Gegenstand hat, die auch dem Unterbringungsbefehl vom 14. Oktober 2019 und der Verurteilung vom 9. Dezember 2019 zugrunde lagen. Aufgrund dieses Unterbringungsbefehls wurde der Beschuldigte am 13. Oktober 2020 festgenommen. Er befindet sich seit dem 14. Oktober 2020 im Krankenhaus des Maßregelvollzugs. Die Antragstellung im Sicherungsverfahren nach § 413 StPO ist am 26. Oktober 2020 erfolgt.
Die Staatsanwaltschaft hält die Fortdauer der einstweiligen Unterbringung über sechs Monate hinaus für erforderlich und hat die Akten über die Generalstaatsanwaltschaft dem Senat zur Entscheidung nach § 126a Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. §§ 121, 122 StPO vorgelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft bezweifelt hingegen, dass ei...