Leitsatz (amtlich)

Die Änderung der Prozessordnung zur Vertretung in der Berufungsverhandlung erfasst das Verfahren in der Lage, in der es sich bei Inkrafttreten befindet, greift aber in eine abgeschlossene Prozesslage nicht ein.

 

Normenkette

StPO v. 07.04.1984 § 329 Abs. 1 S. 1; StPO v. 17.07.2015 § 329 Abs. 1 S. 1; StPO § 344 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 07.07.2015; Aktenzeichen (582) 235 Js 584/14 Ns (19/15))

 

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. Juli 2015 wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten am 18. September 2014 wegen versuchten Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 28. November 2013 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht durch das angefochtene Urteil gemäß § 329 Abs. 1 StPO a.F. mit der Begründung verworfen, er sei im Termin zur Berufungshauptverhandlung - ungeachtet der ordnungsgemäß bewirkten Ladung - nicht ausreichend entschuldigt ausgeblieben.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt für den Fall, dass sein gleichzeitig gestellter Antrag auf Wiedereinsetzung verworfen werde. Durch Beschluss des Landgerichts Berlin 27. Juli 2015, rechtskräftig seit dem 14. August 2015, ist der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung als unzulässig verworfen worden. Die Revision rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts durch die fehlerhafte Anwendung des § 329 StPO a.F.. Mit näheren Ausführungen macht der Angeklagte im Wesentlichen geltend, das Landgericht habe die Berufung trotz seines Ausbleibens nicht gemäß § 329 Abs. 1 StPO a.F. verwerfen dürfen. Vielmehr hätte es ihn in konventionskonformer Auslegung der genannten Vorschrift als durch seine Verteidigerin in zulässiger Weise vertreten ansehen müssen.

II.

Die in zulässiger Weise eingelegte Revision hat keinen Erfolg.

Die Prüfung durch das Revisionsgericht, ob die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO a.F. für die Verwerfung der Berufung gegeben sind, setzt eine unter Beachtung des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erhobene Verfahrensrüge voraus. Denn bei dem die Berufung des Angeklagten nach der genannten Vorschrift verwerfenden Urteil handelt es sich um ein ausschließlich Verfahrensfragen betreffendes Prozessurteil, das keine Feststellungen zur Schuld- und Straffrage enthält (ständige Rechtsprechung, vgl. KG, Beschluss vom 14. Februar 2014 - [4] 161 Ss 71/14 [106/14] mit weit. Nachweisen). Daher muss die Revision die den Verfahrensmangel begründenden Tatsachen ohne Bezugnahmen und Verweisungen so umfassend und vollständig mitteilen, dass das Revisionsgericht allein aufgrund dieser Angaben prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Revision zutrifft (vgl. KG aaO.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., § 344 Rdn. 20ff., jeweils mit weit. Nachweisen).

Der Nachprüfung war die bis zum 24. Juli 2015 geltende Fassung des § 329 StPO zugrunde zu legen. Das "Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe" vom 17. Juli 2015 mit der in § 329 Abs. 1 StPO erweiterten Vertretungsmöglichkeit des Angeklagten in dem Termin zur Berufungshauptverhandlung durch einen "vertretungsbereiten Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht" ist erst am 25. Juli 2015 in Kraft getreten (BGBl. I 1332) und findet auf den vorliegenden Fall keine Anwendung. Regelungen über eine Rückwirkung enthält das Gesetz nicht. Nach dem Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts erfasst eine Änderung des Verfahrensrechts, soweit - wie hier - nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, zwar auch bereits anhängige Verfahren (vgl. BVerfGE 87, 48; BGHSt 22, 321; BGHSt 26, 288; OLG Frankfurt, Beschluss vom 02. März 2007 - 3 Ws 240/07 -, [juris]; OLG Hamburg NStZ-RR 2003, 46; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., § 354a, Rdn. 4). Dieser Grundsatz gilt nicht nur für Rechtsvorschriften, sondern auch für Bestimmungen, welche die Stellung von Verfahrensbeteiligten, ihre Befugnisse und Pflichten betreffen, sowie für Vorschriften über die Vornahme und Wirkungen von Prozesshandlungen (vgl. BGHSt 22, 321, 325). Die Änderung erfasst das Verfahren aber in der Lage, in der es sich bei Inkrafttreten der neuen Vorschrift befindet (vgl. BGHSt 22, 325). Für ein bereits beendetes prozessuales Geschehen gilt eine Verfahrensänderung nicht (vgl. OLG Frankfurt aaO.; OLG Hamm NJW 1975, 701, BayObLGSt 1954, 92; Franke in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 354a Rdn. 6; Gericke in KK, StPO 7. Aufl., § 355 Rdn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., Einl. Rdn. 203).

1. Die Verfahrensrügen betreffend die Frage der Zulässigkeit der Vertretung des abwesenden Angeklagten durch die hierzu bevollmä...

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