Entscheidungsstichwort (Thema)

Ruhen der Verfolgungsverjährung aufgrund eines Abwesenheitsurteils selbst bei anschließender Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Toleranzabzug bei der Geschwindigkeitsermittlung mittels ProVida Modular 2000 durch Nachfahren nach Reifenwechsel. Prüfung des Absehens vom Fahrverbot wegen Zeitablaufs

 

Orientierungssatz

Orientierungssätze:

1. Ein Abwesenheitsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG lässt die Verfolgungsverjährung gemäß § 32 Abs. 2 OWiG ruhen, selbst wenn anschließend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden ist.

2. Ein vorgenommener Sicherheitsabschlag in Höhe von 10 Prozent gleicht mögliche Messfehler infolge nicht erfolgter Neueichung nach einer Umrüstung des Fahrzeugs von Sommer- auf Winterreifen, ohne dass sich Umfang oder Reifengröße verändert haben, aus.

3. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass (ordnungsgemäß angebrachte) Vorschriftszeichen, auch solche, durch die eine Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erfolgt, wahrgenommen werden und ein fahrlässiges Übersehen die Ausnahme darstellt.

4. Regelmäßig liegt ab einem Zeitraum von etwa zwei Jahren die Prüfung nahe, ob ein Fahrverbot seine erzieherischen Zwecke im Hinblick auf den Zeitablauf noch erfüllen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, worauf die lange Verfahrensdauer zurückzuführen ist, insbesondere ob hierfür maßgebliche Umstände im Einflussbereich des Betroffenen liegen oder Folge gerichtlicher oder behördlicher Abläufe sind.

 

Normenkette

OWiG § 32 Abs. 2, § 33 Abs. 3 S. 2, § 74 Abs. 2, 4, § 79; StPO §§ 341, 344 Abs. 1, § 345; StVG § 25 Abs. 1, 2a, § 26 Abs. 3; BKatV § 4 Abs. 1, 4; BGB § 622 Abs. 3

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 20.05.2021; Aktenzeichen 347 OWi 783/19)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 20. Mai 2021 wird als unbegründet verworfen.

Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

I.

Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 4. April 2019 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße in Höhe von 200,00 Euro festgesetzt sowie ein einmonatiges Fahrverbot verhängt und eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG getroffen.

Gegen den am 6. April 2019 dem Betroffenen zugestellten Bußgeldbescheid hat der Betroffene rechtzeitig Einspruch eingelegt.

Nachdem am 10. September 2020 ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG ergangen war, ist dem Betroffenen mit Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 8. Oktober 2020 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden.

Mit Urteil vom 20. Mai 2021 hat ihn das Amtsgericht Tiergarten zu einer Geldbuße von 200,00 Euro verurteilt, ihm für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen, und eine Bestimmung über das Wirksamwerden des Fahrverbotes nach § 25 Abs. 2a StVG getroffen.

Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene als Führer eines Pkw am 6. Januar 2019 um 0.07 Uhr in x Berlin die Bundesautobahn 100 in Fahrtrichtung Nord zwischen dem Autobahndreieck F und der Anschlussstelle K befuhr. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit war mit Zeichen 274 auf 60 km/h beschränkt. Die Geschwindigkeitsmessung ergab mittels ProVida 2000 (genauer: ProViDa 2000 modular - Anmerkung des Senats) unter Zugrundelegung der Vierpunktmessung auf einer Wegstrecke von 646 Metern eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 113,72 km/h, festgestellt wurde abzüglich einer Toleranz von 10 Prozent eine dem Betroffenen vorzuwerfende Geschwindigkeit von 102 km/h und dementsprechend eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 42 km/h. Die Eichung der betreffenden Geschwindigkeitsmessanlage war erfolgt, als das Fahrzeug mit Sommerreifen ausgestattet war, wohingegen zur Tatzeit eine Umrüstung auf Winterreifen erfolgt war, ohne dass sich Umfang oder Reifengröße verändert hatten.

Die Geschwindigkeitsüberschreitung erfolgte in Folge von Unachtsamkeit des Betroffenen.

Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde und erhebt die allgemeine Sachrüge.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist nach §§ 79 Abs. 3, 4 OWiG, 341, 344, 345 StPO fristgemäß und auch formgerecht eingereicht worden.

Zwar fehlt es in der Rechtsmittelbegründung an dem nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 344 Abs. 1 StPO erforderlichen Rechtsbeschwerdeantrag. Dies ist jedoch unschädlich, weil das Ziel des Rechtsmittels aus der Rechtsbeschwerdeschrift ersichtlich ist: Erhebt der Beschwerdeführer uneingeschränkt die Sachrüge, so ist daraus im Regelfall zu entnehmen, dass er das Urteil insgesamt anficht (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 1999 - 4 StR 652/98 -, juris; Hadamitzky in KK-OWiG 5. Aufl., § 79 Rn. 86 m.w.N.).

2. Die von Amts wegen im Freibeweisverfahren veranlasste Prüfung ergibt, dass kein Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung besteht.

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