Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwertbarkeit des verlesenen Messprotokolls. kein Zustimmungserfordernis für das Verlesen des Messprotokolls

 

Orientierungssatz

Orientierungssätze:

1. Unabhängig von einem in § 77a Abs. 1, 2 und 4 OWiG geregelten Zustimmungserfordernis kann das Messprotokoll auf Anordnung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO verlesen werden.

2. Denn das Messprotokoll ist eine Urkunde i.S.v. § 256 Abs. 1 StPO, weil sie eine Erklärung über eine amtlich festgestellte Tatsache einer Ermittlungsmaßnahme ist und keine Vernehmung zum Gegenstand hat.

3. Das Messprotokoll gibt im Sinne des § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO auch Auskunft über repressives Handeln der Polizei. Denn die Geschwindigkeitsüberwachung dient auch der Verfolgung und Ahndung von Geschwindigkeitsverstößen.

 

Normenkette

OWiG § 46 Abs. 1, § 77a Abs. 1-2, 4; StPO § 256 Abs. 1 Nr. 5

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 30.09.2022; Aktenzeichen 298 OWi 753/22)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 30. September 2022 wird nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Die Betroffene hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

I.

Auf den rechtzeitigen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid der Polizei Berlin vom 26. April 2022 hat das Amtsgericht Tiergarten die in der Hauptverhandlung erlaubt abwesende Betroffene wegen vorsätzlicher Überschreitung der innörtlichen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 420,00 Euro verurteilt. Nach den Feststellungen hat die Betroffene am x. Januar 2022 um 12.24 Uhr am Steuer des Fahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen B - XXX die L. Straße Richtung O.-B.-Straße die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 29 km/h nach Toleranzabzug überschritten.

Das Gericht hat seine Überzeugung zur ordnungsgemäßen Messung mit dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Poliscan FM1 u.a. auf die Verlesung des Messprotokolls nach §§ 71 Abs. 1 OWiG, 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO gestützt. Das Gericht hat den Antrag der Verteidigung, den Messbeamten zum Beweis der Tatsache, "Das Messprotokoll ist nach der Messung von einem namentlich bislang nicht bekannt Vorgesetzten im Zuge des so genannten Qualitätsmanagements überprüft worden und hiernach wurden Änderungen angeordnet. Diese Vorgesetzte Person hat das Messprotokoll links unten mit Datumstempel und einer Paraphe abgezeichnet", nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG abgelehnt. Es hat zur Begründung u.a. ausgeführt, dass dem Gericht, "aus dem Verfahren 298 OWi 523/22 bekannt sei, dass es sich bei dem Stempel um bloße Eingangsstempel handele, ohne dass die Protokolle selbst nachträglich geändert worden seien. Es handele sich um Eingangsstempel von verschiedenen Abteilungen innerhalb der Verwaltungsbehörden". Der Verteidiger hat dem Verlesen des Protokolls widersprochen und keine weiteren Beweisanträge gestellt.

Die Betroffene hat durch ihren Verteidiger Rechtsbeschwerde einlegt, die sich auf die Verletzungen formellen und materiellen Rechts stützt. Die Verteidigung erhebt mehrere Verfahrensrügen. Es bestehe ein Verwertungsverbot wegen der verfahrensfehlerhaften Verlesung des Messprotokolls, die der Ersetzung der Vernehmung des Messbeamten gedient habe. Sie, die Verteidigung, habe trotz Zustimmungserfordernis nach §§ 77a Abs. 1 und Abs. 4 OWiG der Verlesung nicht zugestimmt. § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO sei für die Verlesung keine ausreichende Rechtgrundlage, weil die Geschwindigkeitsüberwachung und mithin das dafür vor Beginn der Messung erstellte Messprotokoll eine präventive Maßnahme und nicht - wie die Norm erfordere - eine repressive Ermittlungsmaßnahme sei. Auch sei der Messbeamte kein Ermittlungsbeamter i.S. dieser Vorschrift. Im Übrigen sei dem Hauptverhandlungsprotokoll nicht zu entnehmen, wer die Verlesung angeordnet habe. Ferner sei die Ablehnung des Beweisantrages fehlerhaft, weil er keine Einsicht in die im Beschluss genannte Verfahrensakte gehabt habe oder ihm der Inhalt auf andere Weise bekannt gegeben worden sei. Der Messbeamte hätte zur Erstellung des Protokolls vernommen werden müssen. Daher erhebt die Verteidigung zusätzlich eine Aufklärungs-, Inbegriffs- und Erörterungsrüge mit der Begründung: Durch die rechtsfehlerhafte Ablehnung des "Beweisantrages der Verteidigung, den Messbeamten C. als Zeugen zu vernehmen", habe das Gericht "zu Unrecht von der Beweiserhebung abgesehen und durch die unberechtigte Ablehnung des Beweisantrags und mithin Nichterhebung des Beweises wie auch durch die Verlesung des Messprotokolls anstelle der Zeugenvernehmung seine aus § 244 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 OWiG folgende Aufklärungspflicht verletzt".

II.

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

A. Die Verfahrensrügen sind teilweise unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.

1. Das Tatgericht hat rechtsfehlerfrei, den Schuldspruch u.a. auf den Inhalt des verlesenen Messprotokolls gestützt. Insoweit besteht insbesondere kein Verwertungsverbot. Das Messprotokoll ist eine Urkunde i.S.v. § 256 Abs....

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