Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 15.06.2011)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Freigesprochenen wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. Juni 2011 dahin abgeändert, dass der Freigesprochene für die Durchsuchung seiner Wohnung in der W. Straße 20 in Berlin am 5. Oktober 2010 aus der Landeskasse Berlin zu entschädigen ist.

2. Die weitergehende sofortige Beschwerde wird verworfen.

3. Der Freigesprochene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

I. Die Staatsanwaltschaft Berlin legte dem Beschwerdeführer mit Anklage vom 9. März 2011 eine Körperverletzung mit Todesfolge zur Last. Der Beschwerdeführer befand sich in dieser Sache nach seiner vorläufigen Festnahme am 5. Oktober 2010 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin - 353 Gs 5100/10 - vom 6. Oktober 2010 und des Haftfortdauerbeschlusses des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. Januar 2011 - 353 Gs 6156/10 - nach Maßgabe der Haftfortdauerbeschlüsse des Landgerichts Berlin vom 4. Februar 2011 - 529 Qs 1/11 - und des Senats vom 15. April 2011 - (2) 1 HEs 14/11 (3/11) - bis zu seiner Entlassung am 15. Juni 2011 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Das Landgericht hat ihn durch insoweit rechtskräftiges Urteil vom 15. Juni 2011 freigesprochen und ihm zugleich eine Entschädigung für die vorläufige Festnahme, die erlittene Untersuchungshaft und die Durchsuchung seiner Wohnung in der W. Straße 20 in Berlin versagt.

Die gegen die Versagung der Entschädigung für die erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen gerichtete sofortige Beschwerde des Freigesprochenen ist nach § 8 Abs. 3 Satz 1 StrEG, § 311 Abs. 2 StPO zulässig. Sie hat jedoch nur in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

II. 1. Einem Freigesprochenen steht für die in § 2 StrEG aufgeführten Strafverfolgungsmaßnahmen grundsätzlich eine Entschädigung zu. Sie ist nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG jedoch dann ausgeschlossen, wenn und soweit der Freigesprochene die Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Insoweit ist nicht auf die Erkenntnismöglichkeiten zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung, sondern darauf abzustellen, wie sich der Sachverhalt den Ermittlungsbehörden bzw. Gerichten im Zeitpunkt der Anordnung oder Aufrechterhaltung der Strafverfolgungsmaßnahme dargestellt hat (vgl. BGH bei Holtz MDR 1983, 450; KG StraFo 2009, 129; Beschlüsse vom 18. April 2007 - 4 Ws 47/04 - und vom 9. März 1999 - 4 Ws 24/99 - juris). Dabei ist das Beschwerdegericht nach § 464 Abs. 3 Satz 2 StPO i.V.m. § 8 Abs. 3 Satz 2 StrEG an die tatsächlichen Feststellungen, auf denen die Hauptentscheidung beruht und welche diese tragen, gebunden (vgl. OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 1996, 286; OLG Schleswig MDR 1979, 165; D. Meyer, Strafrechtsentschädigung 8. Aufl., § 8 StrEG Rdn. 54 mit weit. Nachweisen), kann sie jedoch aus dem zweifelsfrei zur Entscheidungsgrundlage in der Hauptsache gewordenen Inhalt der Akten und im Wege des Freibeweises ergänzen, soweit es sich dadurch nicht in Widerspruch zu den tatsächlichen Feststellungen des Urteils setzt (vgl. KG StraFo 2009, 129; Beschlüsse vom 18. April 2007 - 4 Ws 47/04 - und 20. März 2000 - 4 Ws 41/00 - juris Rdn. 4; D. Meyer, § 8 StrEG Rdn. 55; Kunz, StrEG 4. Aufl., § 8 Rdn. 62).

§ 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG enthält einen Ausnahmetatbestand. Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschuldigte Anlass zu der Strafverfolgungsmaßnahme gegeben hat, ist deshalb ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BGH StraFo 2010, 87; KG StraFo 2009, 129; Beschlüsse vom 18. April 2007 - 4 Ws 47/04 - und 20. Juni 2006 - 4 Ws 41/05 -). Es reicht daher nicht aus, dass sich der Freigesprochene irgendwie verdächtig gemacht hat und die gesamte - allein oder überwiegend aufgrund anderer Beweismittel bestehende - Verdachtslage die ergriffene Strafverfolgungsmaßnahme rechtfertigt (vgl. BGH StraFo 2010, 87; NStE Nr. 5 zu § 5 StrEG; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 255, 256; OLG Düsseldorf JMBl. NW 1991, 33; StV 1988, 446; KG StraFo 2009, 129; Beschluss vom 18. April 2007 - 4 Ws 47/04 -). Erforderlich ist vielmehr, dass er die Maßnahme durch die Tat selbst oder sein früheres oder nachfolgendes Verhalten ganz oder überwiegend verursacht hat (vgl. BGH bei Holtz MDR 1983, 450; KG StraFo 2009, 129; Beschlüsse vom 20. Juni 2006 - 4 Ws 41/05 - und vom 9. März 1999 - 4 Ws 24/99 - juris; Meyer-Goßner, StPO 54. Aufl., § 5 StrEG Rdn. 7). Das Verhalten des Freigesprochenen ist nicht oder nicht mehr ursächlich, wenn die Maßnahme auch unabhängig von seinem Verhalten, welches sicher festzustellen ist (vgl. OLG Köln StraFo 2001, 146), angeordnet oder aufrechterhalten worden wäre (vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 255; OLG Oldenburg StraFo 2005, 384; KG StraFo 2009, 129) oder wenn sie allein oder im Wesentlichen auf anderen Beweisen beruht (vgl. BGH NStE zu § 5 StrEG Nr. 5; OLG Düsseldorf StV 1988, 446; OLG Köln StraFo 2001, 146; Meyer-Goßner, § 5 StrEG Rdn. 7). Im Zweifelsfall ist zu seinen Gunsten zu entscheiden (vgl. KG StraFo 2009, 129; Beschlüsse vom 18. A...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge