Verfahrensgang

AG Berlin-Schöneberg (Aktenzeichen 67 VI 579/16)

 

Tenor

I. Das Beschwerdeverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die nachfolgende Vorlagefrage ausgesetzt.

II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) werden gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst.

b, Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 4 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.7.2012 "über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (EuErbVO)" dahingehend auszulegen,

dass damit auch die ausschließliche internationale Zuständigkeit für den Erlass der nicht vom Europäischen Nachlasszeugnis ersetzten nationalen Nachlasszeugnisse in den jeweiligen Mitgliedsstaaten (vgl. Art. 62 Abs. 3 EuErbVO) bestimmt wird, mit der Folge, dass abweichende Bestimmungen der nationalen Gesetzgeber hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit für die Ausstellung der nationalen Nachlasszeugnisse - wie z.B. in Deutschland § 105 des Familiengesetzbuchs (FamFG) - wegen Verstoßes gegen höherrangiges Europarecht unwirksam sind?

 

Gründe

I. Der am 28.11.2015 mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich verstorbene Erblasser war französischer Staatsbürger. Er hinterlässt zwei leibliche Söhne, den Antragsteller und seinen Bruder; die Ehefrau des Erblassers ist vorverstorben.

Nachlass befindet sich in Frankreich und Deutschland. Ein vom Tribunal d'Instance Saint Avold am 08.3.2016 erlassenes französisches Nachlasszeugnis (Certificat d'Héritier) weist den Antragsteller und seinen Bruder als Erben je zu ½ aus.

Der Antragsteller hat mit notarieller Erbscheinsverhandlung vom 31.8.2016, gerichtet an das nach deutschem Verfahrensrecht - §§ 105, 343 Abs. 3 S. 1 FamFG - zuständige AG Schöneberg in Berlin, die Erteilung eines gegenständlich beschränkten Fremdrechts-Erbscheins beantragt, wonach er und sein Bruder hinsichtlich des in Deutschland belegenen Nachlassteils den Erblasser in Anwendung französischen Rechts je zur Hälfte beerbt haben.

§ 105 FamFG (in der Fassung vom 17.12.2008, gültig seit dem 1.9.2009, BGBl. I 2008 S. 2586 ff.) lautet wie folgt:

"In anderen Verfahren nach diesem Gesetz sind die deutschen Gerichte zuständig, wenn ein deutsches Gericht örtlich zuständig ist."

Die örtliche Zuständigkeit in Nachlasssachen bestimmt sich nach § 343 FamFG. Dieser lautet in der Fassung des zum 17.8.2015 in Kraft getretenen Gesetzes "zum Internationalen Erbrecht und zur Änderung von Vorschriften zum Erbschein sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften" vom 29.06.2015 (kurz: IntErbRVG, BGBL. I 2015, S. 1042 ff.) wie folgt:

"(1) Örtlich zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

(2) Hatte der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte.

(3) Ist eine Zuständigkeit nach den Absätzen 1 und 2 nicht gegeben, ist das AG Schöneberg in Berlin zuständig, wenn der Erblasser Deutscher ist oder sich Nachlassgegegenstände im Inland befinden.

Das AG Schöneberg in Berlin kann die Sache aus wichtigem Grund an ein anderes Nachlassgericht verweisen."

Mit Beschluss vom 17.11.2016 hat sich das AG Schöneberg gemäß Art 4 i.V.m. Art 15 EuErbVO für unzuständig erklärt und dies mit Beschluss vom 28.11.2016 damit begründet, dass die Regelung des § 105 FamFG für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit nicht herangezogen werden dürfe, weil sie gegen höherrangiges Europarecht, nämlich Art. 4 EuErbVO verstoße, wonach für alle Erbangelegenheiten (international) ausschließlich die Gerichte desjenigen Mitgliedstaates zuständig seien, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 29.11.2016, per Fax beim Nachlassgericht eingegangen am selben Tag.

II. Unter Aussetzung des Verfahrens ist gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen. Die Entscheidung über die Beschwerde des Antragstellers hängt von der - in der Literatur streitigen und noch nicht geklärten - Beantwortung der vorgelegten Frage ab.

Die Beschwerde ist zulässig und hätte in der Sache Erfolg, wenn sich die internationale Zuständigkeit des angerufenen Nachlassgerichts vorliegend nicht nach Art. 4 EU-ErbVO, sondern nach § 105 FamFG bestimmen würde. Dies wiederum wäre der Fall, wenn die Frage, welches Gericht für den Erlass der nationalen Nachlasszeugnisse international zuständig ist, nicht dem Regelungsbereich des Art. 4 EuErbVO unterfiele.

Anders als das Nachlassgericht erachtet der Senat das AG ...

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