Entscheidungsstichwort (Thema)

Gerichtsverfassungsrecht: Zuständigkeit der Jugendkammer für die BtM-Straftat eines Heranwachsenden

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Jugendgerichte sind für Verfahren gegen Heranwachsende auch dann zuständig, wenn von vornherein die Anwendung des allgemeinen Strafrechts in Betracht kommt. In diesen Fällen richtet sich die Abgrenzung der Zuständigkeit von Jugendschöffengericht und Jugendkammer ausschließlich nach der Straferwartung.

2. Bei einer zur Tatzeit über 19 Jahre alten Angeklagten, die Heroin in nicht geringer Menge aus rein finanziellen Gründen eingeführt hat, liegt nicht nur die Verurteilung nach allgemeinem Strafrecht nahe; trotz Vorliegens der Voraussetzungen für die Anwendung des § 31 Nr. 1 BtMG kann in diesem Fall der Strafbann eines Jugendschöffengerichts nicht mehr ausreichen.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 29.01.2001; Aktenzeichen (513) 69 Js 170/00 (2/01))

 

Tenor

BESCHLUSS1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 29. Januar 2001 dahin abgeändert, daß die Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin vom 4. Januar 2001 vor der 13. großen Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Berlin zur Hauptverhandlung zugelassen wird.

2. Die Kosten des Rechtsmittels fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

 

Gründe

Die Staatsanwaltschaft Berlin legt den Angeklagten mit ihrer Anklageschrift vom 4. Januar 2001 tateinheitlich begangene gemeinschaftliche unerlaubte Einfuhr von und Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Last, der Angeklagten K. in vier, der Angeklagten M. in zwei Fällen. Durch den angefochtenen Beschluß hat das Landgericht die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen, das Hauptverfahren aber abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft vor dem Jugendschöffengericht eröffnet. Die nach § 210 Abs. 2 2. Alt. StPO zulässige sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

1. Der hinreichende Tatverdacht (§ 203 StPO) ist vom Senat im vorliegenden Fall nicht zu überprüfen. Denn die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrem Rechtsmittel gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Jugendschöffengericht und greift damit lediglich die Bezeichnung des Gerichts an, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll (§ 207 Abs. 1 StPO). Von dem Rechtsmittel unberührt bleibt die getroffene Entscheidung über die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung, die unanfechtbar ist (§ 210 Abs. 1 StPO). Allerdings unterliegt der Eröffnungsbeschluß dann der Nachprüfung in vollem Umfang, wenn dies erforderlich ist, um die Eröffnungszuständigkeit zu bestimmen. Dies betrifft jedoch nur Fälle, in denen der Sachverhalt, der der Anklage zugrunde liegt, von dem über die Eröffnung entscheidenden Gericht in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht anders als in der Anklageschrift beurteilt wurde, sofern diese Einschätzung für die Bewertung der Eröffnungszuständigkeit von Bedeutung ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom 23. August 1999 - 4 Ws 197/99 - und 23. Dezember 1996 - 4 Ws 206/96 -, OLGSt § 210 StPO Nr. 4, m.w.N.). Die vom Landgericht im Eröffnungsbeschluß vorgenommenen tatsächlichen und rechtlichen Beurteilungen weichen jedoch von der Anklageschrift nicht ab, so daß der Senat allein über die Frage der Zuständigkeitsbestimmung zu befinden hat.

2. Die somit beschränkte Prüfung ergibt, daß die Zuständigkeit des Landgerichts - Jugendkammer - begründet ist. Das Landgericht hat in der angefochtenen Entscheidung allein darauf abgestellt, daß die Voraussetzungen des § 41 Abs. 1 Nrn. 1 - 3 JGG nicht vorlägen. Es hat dabei nicht beachtet, daß die Jugendgerichte für Verfahren gegen Heranwachsende auch dann zuständig sind, wenn von vornherein die Anwendung des allgemeinen Strafrechts in Betracht kommt, und daß in diesen Fällen sich die Abgrenzung der Zuständigkeit von Jugendschöffengericht und Jugendkammer ausschließlich nach der Straferwartung richtet (vgl. OLG Karlsruhe GA 1975, 27). Für die angeklagte Heranwachsende K. liegt die Anwendung des allgemeinen Strafrechts nahe. Sie war bei der ersten Tat 19 Jahre und 4 Monate alt, war zu diesem Zeitpunkt bereits geschieden und lebte selbständig. Sie schmuggelte bei den ihr vorgeworfenen vier Taten eine außerordentlich hohe Menge von insgesamt ca. 22,5 Kilogramm des besonders gefährlichen Rauschgifts Heroin nach Deutschland ein. Die Taten beging sie nach ihren Angaben ausschließlich wegen des lukrativen Kurierlohns, handelte mithin aus rein finanziellen Beweggründen. Unter diesen Umständen kann von einer Jugendverfehlung im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG keine Rede sein; auch ist es nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen wenig wahrscheinlich, daß das Jugendgericht gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG zu der Bewertung gelangt, daß die Angeklagte nicht nach dem allgemeinen Strafrecht zu verurteilen sei. Wegen der großen Menge des eingeschmuggelten Heroins muß die Angeklagte auch unter Berücksichtigung ihres Geständnisses und einer möglichen Strafmilderung nach § 31 Nr. 1 BtMG da...

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