Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 20.09.2002)

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. September 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

 

Gründe

Das Landgericht hat den durch das Amtsgericht freigesprochenen Angeklagten auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Untreue (Treubruch) in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat (vorläufigen) Erfolg.

1.

Das Landgericht stützt den Schuldspruch im wesentlichen auf folgende Feststellungen:

Der Angeklagte hatte 1994 als Rechtsanwalt mit einer Düsseldorfer Anwaltssozietät schriftlich vereinbart, daß er in deren Berliner Kanzleiräumen seine Kanzleigeschäfte in eigener Verantwortung unter dem Namen der Sozietät für diese "geschäftsbesorgend" führt. Das dabei "erwirtschaftete Honorarvolumen" sollte zunächst auf das Konto der Sozietät fließen, über das der Angeklagte und zwei weitere Berliner Rechtsanwälte, die schon zuvor einen gleichlautenden Vertrag mit der Sozietät abgeschlossen hatten, "unter Wahrung der Vermögensbetreuungspflicht" gegenüber der Sozietät "dispositionsbefugt" waren. Die Vereinbarung sah ferner vor, daß von dem erwirtschafteten Honorarvolumen 5 % an die Sozietät abgeführt werden mußten und der restliche Umsatz abzüglich der im einzelnen vereinbarten Kosten und Umlagen den Berliner Rechtsanwälten zustehen sollte. Entgegen dieser Vereinbarung veranlaßte der Angeklagte im November 1995, daß "die aus zwei geschäftsbesorgenden Tätigkeiten für die Sozietät herrührenden Einnahmen" in Höhe von insgesamt 22.032,00 DM abredewidrig seinem eigenen Konto gutgeschrieben wurden und der Sozietät dadurch in Höhe von 5 % dieser Summe ein Schaden entstand.

2.

Die Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht. Sie sind lückenhaft und widersprüchlich.

Das Landgericht hat schon nicht ausreichend dargelegt, daß die Tätigkeiten des Angeklagten, die den vereinnahmten Beträgen zugrunde lagen, überhaupt unter die Vereinbarung mit der Sozietät fielen. Den Feststellungen ist dazu nur zu entnehmen, daß es sich um eine Nachlaßpflegschaft (Fall 1) beziehungsweise um eine Nachlaßverwaltung (Fall 2) handelte. Es versteht sich danach nicht von selbst, daß der Angeklagte insoweit geschäftsbesorgend für die Sozietät tätig geworden ist. Denn in beiden Fällen war ein Handeln "unter dem Namen der Sozietät" gesetzlich nicht möglich. Nachlaßpfleger und Nachlaßverwalter werden - abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Fall des § 1791a BGB - durch das Nachlaßgericht personengebunden bestellt (§§ 1960 Abs.2, 1981, 1915, 1779 BGB). Der Nachlaßpfleger ist gesetzlicher Vertreter der (unbekannten) Erben, während der Nachlaßverwalter als amtlich bestelltes Organ (§ 1981 BGB) für den Nachlaß wie ein Insolvenzverwalter tätig wird (§ 1985 BGB). Da diese Aufgaben nicht im engeren Sinne zum Berufsbild eines Rechtsanwalts gehören, sondern (nach seiner gerichtlichen Bestellung) von jedermann wahrgenommen werden können, und auch nicht nach der BRAGO vergütet werden (§ 1 Abs.2 BRAGO), hätte das Landgericht nähere Feststellungen dazu treffen müssen, daß derartige Einnahmen nach dem Willen der Vertragsparteien gleichwohl unter die getroffene Vereinbarung fallen sollten. Das Landgericht geht in seiner rechtlichen Würdigung selbst davon aus, daß die - in den Urteilsgründen allerdings nicht im Wortlaut wiedergegebene - Ziffer 5 der Vereinbarung so zu verstehen sei, daß alle "in Ausübung des Rechtsanwaltsberufes" erwirtschafteten Honorare davon erfaßt sein sollten.

Des weiteren hat das Landgericht nicht näher erörtert, aus welchen Elementen des Vertrages es eine besondere Vermögensbetreuungspflicht des Angeklagten ableitet. Der Treubruchtatbestand des § 266 Abs.1 2.Alt. StGB setzt aber voraus, daß der Täter eine qualifizierte Pflichtenstellung innehat, aufgrund der ihm - über die allgemeinen Rücksichts- und Sorgfaltspflichten hinaus - die Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen obliegt. Das ist in der Regel nicht der Fall bei gewöhnlichen Austauschverträgen, die primär der Verwirklichung eigener Interessen dienen und nur auf eine Leistung "an" und nicht "für" den Vertragspartner gerichtet sind (vgl. KG, Beschluß vom 29. März 1999 - (3) 1 Ss 387/98 (22/99) -; Schünemann LK, StGB, 11. Aufl., Rdn.81 zu § 266). Nach den vom Landgericht nur bruchstückhaft mitgeteilten Vertragsbedingungen liegt aber die Annahme nahe, daß der Angeklagte seine Anwaltstätigkeit nicht in erster Linie fremdnützig für die Sozietät ausüben, sondern lediglich ein von seinem Umsatz abhängiges Entgelt für die Nutzung des ihm zur Verfügung gestellten Kanzleisitzes und -namens an die Sozietät zahlen sollte. Die bloße Wiedergabe von Vertragsklauseln wie "geschäftsbesorgend" und "unter Wahrung der Vermöge...

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