Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Darlegungsanforderungen bei einer Aufklärungsrüge, wenn der Betroffene behauptet, das Fahrverbot gefährde seine wirtschaftliche Existenz, weil sein Arbeitsplatz gekündigt wird.

2. Welche Tatsachen entscheidungserheblich und deswegen durch das Tatgericht von Amts wegen aufzuklären sind, bestimmt sich nach dem materiellen Recht.

3. Die Androhung einer offensichtlich rechtswidrigen Kündigung durch den Arbeitgeber rechtfertigt kein Absehen vom Fahrverbot (Anschluss an OLG Brandenburg NStZ-RR 2004, 93).

4. Die Rüge, das Tatgericht hätte die Frage eines drohenden Arbeitsplatzverlustes weiter aufklären müssen, setzt Angaben dazu voraus, welche betriebliche Tätigkeit der Betroffene in welchem zeitlichen Umfang ausübt, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Urlaubsansprüche bestehen, ob das Arbeitsverhältnis unbefristet ist und wie viele Arbeitnehmer im Betrieb beschäftigt sind.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 19.09.2018; Aktenzeichen (343 OWi) 3032 Js-OWi 3131/18 (347/18))

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 19. September 2018 wird nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO verworfen.

Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Betroffenen durch Urteil vom 19. September 2018 wegen eines fahrlässigen Geschwindigkeitsverstoßes nach §§ 41 Abs. 1 in Verbindung mit Anlage 2 Nr. 49 (Zeichen 274), 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO zu einer Geldbuße von 210,- Euro verurteilt und ein - nach Maßgabe von § 25 Abs. 2a StVG wirksam werdendes - einmonatiges Fahrverbot ausgesprochen. Zur Verhängung des Fahrverbots hat das Amtsgericht in seinen schriftlichen Urteilsgründen unter anderem ausgeführt:

"Im Übrigen sah das Gericht keine durchgreifende Veranlassung, von der Rechtsfolge eines einmonatigen Fahrverbots wegen einer groben Pflichtverletzung abzusehen. [...] Auch der [...] Umstand, er [Anmerkung des Senats: der Betroffene] sei Taxifahrer und würde im Falle eines Fahrverbots entlassen werden, ändert an der Bewertung nichts. Das an sich verhältnismäßige Fahrverbot stellt für den Betroffenen keine Härte ganz außergewöhnlicher Art dar. Einerseits hätte ihn die Tätigkeit als Taxifahrer zu besonderer Sorgfalt veranlassen sollen, weil er beruflich auf den Führerschein angewiesen ist. Andererseits ist ihm zuzumuten, als Angestellter das Fahrverbot mit dem ihm zustehenden Urlaub zu überbrücken, zumal er den Beginn der Wirksamkeit des Verbots innerhalb eines Zeitraums von vier Monaten selbst bestimmen kann (§ 25 Abs. 2a StVG). Warum der fest angestellte Betroffene kaum nachvollziehbar und arbeitsrechtlich zweifelhaft mit seiner sofortigen Entlassung zu rechnen hätte und hierdurch unmittelbar existenzgefährdend betroffen wäre, ist dem Vortrag der Verteidigung nicht einmal ansatzweise zu entnehmen."

In der Hauptverhandlung stellte der Betroffene neben einem Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens einen Beweisantrag mit folgendem Wortlaut:

"In der Bußgeldsache [...] ist der Betroffene von Beruf Taxifahrer. Er ist beschäftigt bei dem Taxiunternehmer X [...]. Der Zeuge hat dem Betroffenen mitgeteilt, diesen für den Fall des Fahrverbots zu entlassen. Der Zeuge X gewährt dem Betroffenen maximal 2 Wochen Urlaub am Stück, eine interne Verwendung im Taxibetrieb lehnt der Zeuge ab. Ich beantrage, dazu den Zeugen X zu vernehmen."

Beide Anträge hat das Amtsgericht unter Hinweis darauf abgelehnt, dass die beantragte Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei.

Mit seiner gegen dieses Urteil eingelegten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung sachlichen und formellen Rechts. Zur angebrachten Verfahrensrüge hat er ausgeführt, die von ihm gestellten Beweisanträge zur Einholung eines Sachverständigengutachtens zwecks Überprüfung von Messfehlern und zur Vernehmung seines Arbeitgebers, des Zeugen X, seien fehlerhaft abgelehnt worden. Hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens wird auf den Schriftsatz des Verteidigers des Betroffenen vom 26. November 2018 Bezug genommen.

Der Einzelrichter des Bußgeldsenats hat die Sache mit Beschluss vom selben Tag nach § 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, weil im Rahmen der Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des Rechts die Klärung der Rechtsfrage geboten ist, welche Darlegungsanforderungen nach §§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, 79 Abs. 3 OWiG an eine Aufklärungsrüge gemäß § 77 Abs. 1 OWiG zu stellen sind, wenn der Betroffene behauptet, ihm drohe bei Verhängung eines Fahrverbots eine durch die Kündigung des Arbeitsplatzes bedingte wirtschaftliche Existenzgefährdung.

II.

Der Rechtsbeschwerde des Betroffenen bleibt der Erfolg versagt.

1. Dass das Amtsgericht den Beweisantrag des Betroffenen auf Vernehmung des Zeugen X abgelehnt hat, gefährdet nicht den Bestand des angefochtenen Urteils. Denn insoweit ist die Rechtsbeschw...

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