Leitsatz (amtlich)

1. Ein Ehegatte, der etwa zwei Wochen bevor ihm der Scheidungsantrag zugestellt wird, das in seinem Lebensversicherungsvertrag vereinbarte Kapitalwahlrecht ausübt, sich den Policenwert auszahlen lässt und auf diese Weise bewirkt, dass seine Rentenversicherung erlischt mit der Folge, dass das (aufgelöste) Anrecht im Versorgungsausgleich nicht (mehr) zu berücksichtigen ist, handelt illoyal. In diesem Fall ist ein Anrecht des anderen Ehegatten in dem Umfang, in dem der Ehegatte auf sein Anrecht eingewirkt hat, nach § 27 VersAusglG vom Versorgungsausgleich auszunehmen, weil das Handeln des Ehegatten dazu führt, dass sich die Verteilungsgerechtigkeit unter den Ehegatten verschiebt.

2. Unbillig und treuwidrig ist es dabei nicht, dass der Ehegatte das eigene Anrecht dem Versorgungsausgleich entzogen hat, sondern dass er damit die Erwartung verbunden hat, gleichwohl in unverminderter Höhe an den Anrechten des anderen Ehegatten beteiligt zu werden (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 1. April 2015 - XII ZB 701/13, FamRZ 2015, 998). Diese Erwartung ist illoyal und rechtfertigt es, das Verhalten des Antragsgegners als grob unbillig anzusehen. Auf die Beweggründe, weshalb der Ehegatte sein Anrecht aufgelöst hat, kommt es deshalb nicht weiter an.

3. In einer derartigen Konstellation verlangt § 27 VersAusglG keinen "centgenauen" Ausgleich von "Minimalanrechten", sondern Beträge, die bereits nach § 18 VersAusglG nicht auszugleichen wären, sind vorbehaltlich besonderer Umstände auch dann nicht auszugleichen, wenn in illoyaler Weise auf ein Anrecht eingewirkt wurde und deshalb Anrechte des anderen Ehegatten nach § 27 VersAuglG vom Ausgleich auszunehmen sind.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Aktenzeichen 127 F 3726/19)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der am 19. November 2019 verkündete Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg - 127 F 3726/19 - in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 6. Dezember 2019 hinsichtlich des Ausspruchs zum Versorgungsausgleich geändert und Ziff. 2, 3. Absatz des Tenors wie folgt neu gefasst:

Ein Ausgleich des Anrechts der Antragstellerin bei der ... Lebensversicherung AG, H ... (früher: ... Lebensversicherung AG, M ...) - Versicherungsnummer ... - findet nicht statt.

Die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die beteiligten früheren Ehegatten jeweils zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt jeder Beteiligte selbst.

Der Beschwerdewert wird auf 1.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin wendet sich dagegen, dass ihr Anrecht bei der ... Lebensversicherung AG nach dem angegriffenen Scheidungsverbundbeschluss des Familiengerichts intern geteilt und in Höhe von 10.780,70 EUR auf den Antragsgegner übertragen wurde.

Auf die beiderseitigen Anträge der beteiligten Ehegatten hat das Familiengericht deren Ehe auf die mündliche Anhörung vom 19. November 2019 geschieden und die jeweiligen Anrechte der Beteiligten in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie ein Anrecht der Antragstellerin bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder entsprechend den von den Versorgungsträgern jeweils vorgeschlagenen Ausgleichswerten intern geteilt. Weiter hat das Familiengericht eine private Rentenversicherung der Antragstellerin bei der ... Lebensversicherung AG entsprechend des von dem Lebensversicherer am 13. Juli 2019 unterbreiteten Vorschlags intern geteilt und zugunsten des Antragsgegners nach Maßgabe der Teilungsordnung des Lebensversicherers vom 25. April 2013 ein Anrecht in Höhe von 10.780,70 EUR, bezogen auf den 30. April 2019, übertragen.

Mit der Beschwerde wendet sich die Antragstellerin gegen die Teilung ihres Anrechts bei der Lebensversicherung. Sie meint, dass die Teilung grob unbillig sei. Hierzu trägt sie vor, dass der Antragsgegner - unstreitig - bei dem gleichen Lebensversicherer ebenfalls eine fondsgebundene Rentenversicherung mit einem Policenwert per 1. Mai 2019 über insgesamt 22.129,20 EUR unterhalten habe. Im März 2019 habe sie dem Antragsgegner über ihren Verfahrensbevollmächtigten vorgeschlagen, auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs insgesamt zu verzichten und hierüber eine entsprechende, notariell beurkundete Vereinbarung abzuschließen, womit der Antragsgegner zunächst auch einverstanden gewesen sei. Den vereinbarten Notartermin habe er jedoch abgesagt und mit Wirkung zum 1. Mai 2019, etwa zwei Wochen, bevor ihm am 17. Mai 2019 ihr Scheidungsantrag zugestellt worden sei, das mit dem Lebensversicherer vereinbarte Kapitalwahlrecht ausgeübt und sich den Policenwert in voller Höhe auszahlen lassen. Damit sei seine Rentenversicherung erloschen mit der Folge, dass das (aufgelöste) Anrecht im Versorgungsausgleich nicht (mehr) zu berücksichtigen sei. Sie meint, dadurch habe der Antragsgegner in illoyaler Weise auf ein bestehendes Anrecht eingewirkt. Das müsse dazu führen, dass ein Anrecht von ihr in dem Umfang, in dem der Antragsgegner auf sein Anrecht eingewirkt habe, entsprechend § 27...

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