Leitsatz (amtlich)

1. Internationale Zuständigkeit in Kindschaftssachen: Kein Vorrang von Art. 8 EuEheVO (perpetuatio fori) gegenüber Art. 5 KSÜ gem. Art. 61 lit. a EuEheVO bei Aufenthaltswechsel des Kindes während eines laufenden Sorgeverfahrens in einen Vertragsstaat des KSÜ, der nicht Mitgliedstaat der Europäischen Union ist.

2. Die Begründung der internationalen Zuständigkeit in Kindschaftssachen gem. Art. 10 KSÜ kommt nur bei bereits anhängiger Ehesache im Zeitpunkt der Antragstellung und im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht rechtskräftig entschiedener oder anderweitig erledigter Ehesache in Betracht.

3. Allein die Überbringung des Kindes durch ein Elternteil ins Ausland begründet noch keinen Eingriff in das Sorgerecht des anderen Elternteils i.S.v. Art. 7 KSÜ, wenn dem überbringenden Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht - sei es auch nur vorläufig - im Zeitpunkt der Überbringung allein zusteht. Es kommt stets auf die Umstände des Einzelfalles an.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Beschluss vom 09.09.2014; Aktenzeichen 171 F 8645/12)

 

Tenor

Die Beschwerde des Vaters gegen den Beschluss des AG Tempelhof-Kreuzberg - Familiengericht - vom 9.9.2014 wird zurückgewiesen.

Der Antrag des Vaters auf Feststellung, dass das Verbringen des Kindes nach Moskau als widerrechtlich anzusehen sei, wird als unzulässig verworfen.

Von den gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Mutter 1/3, der Vater 2/3 zu tragen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Antrag des Vaters auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Bei den beteiligten Eltern handelt es sich um rechtskräftig geschiedene Eheleute. Sie streiten um das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter K. Jeder Elternteil begehrt für sich die Übertragung der elterlichen Sorge für das Kind auf sich allein. Durch Beschluss vom 9.9.2014 hat das Familiengericht die Anträge beider Eltern als unzulässig zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte sei nicht mehr gegeben, nachdem die Mutter während des laufenden Verfahrens mit dem Kind nach Moskau verzogen sei, wo sie seit dem 31.7.2014 dauerhaft mit dem Kind lebe. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nach Art. 5 des Übereinkommens über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19.10.1996 (im Folgenden kurz: KSÜ) sei dementsprechend nicht mehr gegeben, weil dieser auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes abstelle, der nun nicht mehr in Deutschland, sondern in Russland anzunehmen sei. Von einem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten des Kindes in Moskau, das nach Art. 7 KSÜ zur Beibehaltung der internationalen Zuständigkeit der Gerichte am ursprünglichen gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes, mithin in Deutschland, führen würde, sei hier nicht auszugehen. Hintergrund war, dass der Mutter durch einstweilige Anordnung vom 18.12.2012 im Verfahren 171 F 2265/12 des AG Tempelhof-Kreuzberg, bestätigt durch Beschluss des KG vom 14.2.2013 zum Geschäftszeichen 16 UF 14/13, das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind K.vorläufig allein übertragen worden war.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Vaters. Er meint, das Familiengericht habe zu Unrecht den Tatbestand des Art. 7 KSÜ verneint. Bei der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts habe es sich um eine nur vorläufige Regelung gehandelt. Eine Verbringung des Kindes ins Ausland sei von dieser Regelung nicht gedeckt. Das Sorgerecht des Vaters werde dadurch verletzt, weil ihm dessen Ausübung durch die Verbringung des Kindes nach Russland faktisch unmöglich gemacht und auch die Wahrnehmung seines Umgangs mit dem Kind erheblich erschwert werde. Das Verbringen des Kindes nach Moskau sei als widerrechtlich i.S.d. Art. 3 des Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (im Folgenden kurz: HKÜ) anzusehen. Der Vater beantragt erstmals in der Rechtsmittelinstanz, die Widerrechtlichkeit der Verbringung des Kindes nach Moskau gerichtlich festzustellen.

Die Mutter hat auf Hinweis des Senats vom 5.1.2015 ihre gegen den Beschluss des Familiengerichts eingelegte Beschwerde mit Schreiben vom 23.1.2015, eingegangen am 26.1.2015, zurückgenommen.

II. Die Beschwerde des Vaters gegen den Beschluss des AG Tempelhof-Kreuzberg - Familiengericht - vom 9.9.2014 ist gem. §§ 58 ff. FamFG statthaft und zulässig. In der Sache bleibt sie indes ohne Erfolg.

Das Familiengericht hat im Ergebnis zu Recht den Antrag des Vaters auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge zurückgewiesen, da dieser mangels internationaler Zuständigkeit unzulässig ist. Auch unter Berücksichtigung des Vortrags beider Eltern in der Beschwerdeinstanz fehlt es an der internationalen Zuständigkeit de...

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