Leitsatz (amtlich)

Zum Vorliegen einer Substanzverletzung im Sinne des § 303 Abs. 1 StGB durch Anbringen von Graffitis auf einem S-Bahnwagen und auf der Wand eines U-Bahnhofs. § 303 Abs. 2 ist gegenüber § 303 Abs. 1 StGB subsidiär. Der Tatrichter muss seine Straftatfolgenerwägungen in einem die Nachprüfung ermöglichenden Umfang darlegen. Dies gilt im besonderen Maße bei Anwendung von Jugendstrafrecht, da § 54 Abs. 1 JGG eine erweiterte Begründungspflicht enthält.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 11.08.2005; Aktenzeichen (524) 21 Ju Js 783/03 Ls Ns (35/05))

 

Tenor

  • 1.

    Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. August 2005 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

  • 2.

    Die weitergehende Revision wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, daß der Angeklagte der Sachbeschädigung in sieben Fällen schuldig ist.

  • 3.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

 

Gründe

Das Jugendschöffengericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten, dem mit Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin vom 17. November 2003 gemeinschädliche Sachbeschädigung in acht Fällen zur Last gelegt worden war, am 29. Oktober 2004 freigesprochen. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Berlin am 11. August 2005 das Urteil des Jugendschöffengerichts aufgehoben, den Angeklagten unter Freispruch im übrigen der gemeinschädlichen Sachbeschädigung in sieben Fällen für schuldig befunden und ihn angewiesen, binnen vier Wochen ab Rechtskraft des Urteils auf seine Kosten die Farbverunstaltungen auf den Bänken, Baumumrandungen, Spielgeräten und dem Büstendenkmal auf dem Kinderspielplatz Wilsnacker Straße/Turmstraße in Berlin-Moabit zu beseitigen sowie weitere fünf Monate lang in zweiwöchigem Abstand neu angebrachte Farbverunstaltungen auf diesem Spielplatz zu entfernen. Mit der Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Er macht unter anderem - im Rahmen einer Gegenerklärung zu der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft - geltend, die Feststellungen trügen schon eine Verurteilung wegen Sachbeschädigung nach § 303 StGB nicht, da eine Substanzverletzung nicht rechtsfehlerfrei festgestellt sei. Das Rechtsmittel hat nur den aus der Beschlußformel ersichtlichen Teilerfolg.

1.

Die Revision, die sich erkennbar nicht auf den Teilfreispruch durch das Landgericht erstrecken soll, ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft (§§ 333 StPO, 55 Abs. 1, Abs. 2 JGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 341 Abs. 1, 344, 345 StPO).

2.

Sie ist jedoch hinsichtlich des Schuldspruchs - ungeachtet der aus dem Tenor ersichtlichen Schuldspruchberichtigung - im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet. Erörterungsbedürftig ist nur folgendes:

a)

Das Vorliegen einer Substanzverletzung ist durch die Feststellung belegt: "Die Reinigung der betroffenen Flächen konnte nicht ohne Beschädigung des Untergrundes der Oberfläche erfolgen." (UA S. 4). Die Urteilsbegründung, wie das Landgericht zu dieser Feststellung gelangt ist, genügt noch revisionsrechtlichen Anforderungen.

Zwar enthalten die Urteilsgründe keine ausdrücklichen Angaben zu der Beschaffenheit des jeweils von dem Angeklagten besprühten Untergrundes. Jedoch werden die beschädigten Flächen hinsichtlich Größe und Art des Eingriffs jeweils so genau bezeichnet, daß sich das betroffene Material hieraus bei lebensnaher Betrachtung von selbst ergibt. Hinsichtlich der in den Fällen 1 und 5 jeweils besprayten Gleisrückwände von U-Bahn-höfen ist allgemeinkundig, daß diese Mauern nicht gestalterisch verkleidet werden, mithin aus saugfähigem Stein bestehen. Bezüglich der übrigen Tatobjekte - in den Fällen 2, 6 und 7 S-Bahnwagen der Baureihen 485 und 481/482, in den Fällen 3 und 4 U-Bahnwagen der Baureihe G - enthalten die Sachverhaltsfeststellungen jeweils detaillierte Angaben zu Ort und flächenmäßiger Ausbreitung der aufgesprühten Farbe, die Rückschlüsse auf den betroffenen Untergrund, nämlich lackierte metallene Wandflächen oder Fensterscheiben, zulassen. Durch die Mitteilung der Wagennummern wird gleichzeitig das von der Baureihe definierte äußere Bild der U-Bahn- und S-Bahnwagen vermittelt.

Soweit das Landgericht seine Überzeugung, daß die Beseitigung der Farbschmierereien zu einer Substanzverletzung geführt hat, unter anderem darauf stützt, daß die Wiederherstellungskosten die Reinigungskosten ausweislich der Schadensmeldungen der Verkehrsbetriebe jeweils deutlich überstiegen, ist diese Schlußfolgerung jedenfalls möglich und steht nicht im Widerspruch zu Denkgesetzen und Erfahrungssätzen. Der weiterhin zur Begründung herangezogene Erfahrungssatz, daß die Beseitigung der Graffitispuren regelmäßig zu einer Aufrauhung der Oberfläche führe, ist ebenfalls aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, sondern entspricht naturwissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen, da sic...

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