A. Grundstücks- und Grundbuchrecht

I. Grundsatz von Einigung und Eintragung

 

Rz. 1

Der Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuches hatte sich mit der Regelung des § 873 BGB ausdrücklich für den sog. Buchungszwang im Immobiliarsachenrecht ausgesprochen:[1] Rechtsgeschäftliche Begründung und Änderung von Rechten an Grundstücken bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Eintragung in das Grundbuch. Partikularrechte einzelner Länder des Deutschen Reichs vor 1900 kannten verschiedene Formen des Grundbuchs, insbes. solche, bei welchen nur Grundpfandrechte eingetragen wurden; beschränkte dingliche Rechte (Dienstbarkeiten, Servituten) konnten dagegen vielfach ohne Grundbucheintragung entstehen.[2] Das römische Recht kannte im Übrigen keine Trennung von Mobiliar- und Immobiliarsachenrecht und ließ bei der Übereignung von Grundstücken wie bei beweglichen Sachen das Traditionsprinzip gelten.[3]

 

Rz. 2

Die rechtsgeschäftliche Verfügung über Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte und Rechte an Grundstücken setzt nach § 873 Abs. 1 BGB Einigung der Beteiligten und hoheitliche Eintragung in das Grundbuch voraus. Die staatliche Mitwirkung am Grundstücksverkehr ist nicht im Sinne obrigkeitlicher Überwachung zu begreifen, sondern als Garant der Rechtssicherheit entsprechend der volkswirtschaftlichen Bedeutung des Grund und Bodens als Grundlage freier Marktwirtschaft. Sie dient der Sicherheit aller, die Rechte und Pflichten in Bezug auf Grundstücke haben. Der Doppeltatbestand von rechtsgeschäftlicher Willenserklärung und hoheitlichem Eintragungsverfahren, der zu einem Ineinandergreifen von materiellem und formellem Recht führt und insbes. öffentlichen Glauben an die Richtigkeit des Inhalts des Grundbuchs beinhaltet, gehört zu den Besonderheiten des deutschen Liegenschaftsrechts, das gerade aber auch dadurch die erwähnte Rechtssicherheit garantiert.[4] Im Vergleich zu Rechtsordnungen, die kein Grundbuchsystem kennen und beispielsweise wie die USA daraus resultierende Rechtsunsicherheit im Grundstücksverkehr durch den Abschluss entsprechender Versicherungen abdecken (title-insurance),[5] ist dem deutschen Grundbuchsystem mit Buchungszwang, gerade auch mit dem öffentlichen Glauben des Grundbuchinhalts, der Vorzug zu geben, insbes. weil für den Rechtsverkehr das staatlich organisierte Grundbuchsystem nicht teurer ist als die private Absicherung rechtlicher Risiken durch Versicherungen.[6]

 

Rz. 3

Voraussetzung der Anwendung des § 873 BGB ist, dass jedes am Rechtsverkehr teilnehmende Grundstück in einem amtlichen Verzeichnis, dem Liegenschaftskataster, sowie in einem mit ihm übereinstimmenden Grundbuch (§§ 2 Abs. 2, 3 Abs. 1 GBO) geführt wird. Ein funktionsfähiges Grundbuch setzt ein funktionsfähiges Liegenschaftskataster voraus. Der Staat muss ferner Vorsorge treffen, dass die Amtsgerichte als für die Führung des Grundbuchs zuständigen Organe (§ 1 Abs. 1 GBO) organisatorisch und insbes. personell in der Lage sind, nach rechtsstaatlichen Grundsätzen die anfallenden Grundstücksgeschäfte in Zusammenarbeit mit den für ihre Beurkundung, Genehmigung und Abwicklung zuständigen Behörden, Gerichten und anderen Organen der Rechtspflege (insbes. Notare) zu einem reibungslosen Vollzug zu bringen.[7]

Aus dem Doppeltatbestand des § 873 BGB folgt zweierlei:

Eine Rechtsänderung kann rechtsgeschäftlich weder allein durch Einigung (Ausnahme z.B. § 1154 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BGB) noch allein durch Grundbucheintragung stattfinden.
Die Voraussetzungen und Wirkungen der dinglichen Rechtsänderung richten sich nach materiellem Recht (z.B. §§ 873, 875, 877 BGB). Die Voraussetzungen für die Vornahme und die Wirksamkeit der Grundbucheintragung richten sich nach Verfahrensrecht der GBO und ergänzend dem FamFG.

Ein Verfahrensverstoß allein verhindert nicht die materielle Rechtsänderung (vgl. § 19 GBO Rdn 2; vgl. § 20 GBO Rdn 4), wenn die Eintragung als solche wirksam ist und mit dem rechtsgeschäftlichen Willenselement der Beteiligten übereinstimmt. Fehlt es aber am rechtsgeschäftlichen Willenselement oder stimmt es nicht mit der Eintragung überein, bewirkt die Grundbucheintragung keine Rechtsänderung; es besteht mit der Eintragung eine Grundbuchunrichtigkeit, die durch §§ 891893 BGB rechtliche Wirkungen entfalten kann.

[1] Motive zum BGB, Bd. 3, S. 19 ff.; Staudinger/Chr. Heinze, BGB, § 873 Rn 1, 2; Meikel/Böhringer, 10. Aufl. 2010, Einl. A 35 ff.
[2] Motive zum BGB, Bd. 3, S. 9 ff.; sehr krit. dazu v. Gierke, Entwurf eines BGB (Leipzig 1889), S. 311 ff.; eingehend Meikel/Böhringer, Einl. A 29 ff.; Bauer/Schaub/Bauer, GBO, AT A Rn 42; Güthe/Triebel, Einl. Rn 7 ff.; eingehend ferner Aubert, Beiträge zur Geschichte der deutschen Grundbücher, ZfRG Bd. XIV, 1; Böhringer, BWNotZ 1986, 1; 1989, 25; ders., BWNotZ 1999, 161; Stewing, Rpfleger 1989, 445.
[3] Meikel/Böhringer, 10. Aufl. 2010, Einl A 4 ff.
[4] Staudinger/Chr. Heinze, BGB, § 873 Rn 4; eingehend Hedemann, Die Fortschritte des Zivilrechts im XIX. Jh., Bd. II. Die Entwicklung des Bodenrechts von der französischen Revolution bis zur Gegenwart. 1. Das materielle Bodenrecht (1930); 2. Die Entwicklung des fo...

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