Leitsatz

Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, wenn also eine innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen tatsächlich stattgefunden hat, der Lieferer jedoch bei der Lieferung die Identität des wahren Erwerbers verschleiert hat, um diesem zu ermöglichen, die Mehrwertsteuer zu hin­terziehen, kann der Ausgangsmitgliedstaat der innergemeinschaftlichen Lieferung aufgrund der ihm nach dem ersten Satzteil von Art. 28c Teil A Buchst. a der 6. EG-RL zustehenden Befugnisse die Mehrwertsteuerbefreiung für diesen Umsatz versagen.

 

Normenkette

Art. 28c Teil A Buchst. a der 6. EG-RL (§ 6a, § 18a, § 18b UStG)

 

Sachverhalt

R war Geschäftsführer einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft, die hochwertige Fahrzeuge an Händler in Portugal verkaufte. Er nahm eine Reihe von Manipulationen (Scheinrechnungen auf Scheinkäufer, Angabe deren USt-IdNr.) vor, um es Händlern in Portugal zu ermöglichen, durch Verschleierung der Identität der tatsächlichen Käufer der Fahrzeuge USt zu hinterziehen. Bei den Scheinkäufern handelte es sich um tatsächlich existierende Unternehmen in Portugal, von denen einige Kenntnis von der Verwendung ihrer Firma hatten, andere hingegen nicht. Die tatsächlichen Käufer verkauften die Fahrzeuge an private Endabnehmer in Portugal weiter, ohne den portugiesischen Finanzbehörden mitzuteilen, dass zuvor ein innergemeinschaftlicher Erwerb stattgefunden hatte, und ohne die für diesen Erwerb angefallene USt zu entrichten.

 

Entscheidung

Die wesentlichen Gründe ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen. Der EuGH betont; dass sich auf allgemeine Grundsätze wie Verhältnismäßigkeit, Neutralität der Mehrwertsteuer und der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutz ein Steuerpflichtiger, der sich vorsätzlich an einer Steuerhinterziehung beteiligt und das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdet, nicht mit Erfolg berufen kann.

Der EuGH hat zwar nicht ausdrücklich entschieden, ob ein späterer Nachweis, dass der igErwerb tatsächlich versteuert worden ist, berücksichtigt werden kann. Die wesentliche Begründung für die ­Versagung der Steuerbefreiung sind nach der Entscheidung die durch die Falschangaben bewirkte Gefährdung des Steueraufkommens und der Hinweis, dass sich der Unternehmer, der an einer Hinterziehung mitwirkt, weder auf den Grundsatz der Neutralität der USt noch auf die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes berufen kann. Dies spricht gegen die Berücksichtigung späterer Erkenntnisse.

 

Hinweis

1. Steht aufgrund objektiver Umstände fest, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, ist der Vorsteuerabzug zu versagen (BFH, Urteil vom 19.10.2010, XI R 78/07, BFH/NV 2010, 2132). Für den innergemeinschaftlichen Erwerb gelten insoweit keine Besonderheiten.

2. Ob Vergleichbares auch gilt, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seiner Veräußerung in einen anderen Mitgliedstaat (innergemeinschaftliche Lieferung – igLieferung –) an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, war zweifelhaft, weil die Befreiung der igLieferung nicht davon abhängt, dass der igErwerb im Bestimmungsland tatsächlich besteuert wird und der EuGH in der Entscheidung "Collee" die Gefährdung des Steueraufkommens als ein Kriterium für die Beurteilung thematisiert hatte, bei einer igLieferung aber nur das Steueraufkommen des anderen Mitgliedstaats gefährdet sein kann.

3. Der EuGH stellt nunmehr klar, dass die Befreiung als igLieferung auch dann zu versagen ist, wenn zwar die gelieferten Gegenstände tatsächlich das deutsche Hoheitsgebiet verlassen haben, die als Nachweise für innergemeinschaftliche Umsätze vorgelegten Rechnungen und Erklärungen des Unternehmers jedoch bewusst sachlich falsch waren; denn dadurch wird die genaue Erhebung der Steuer verhindert und das ordnungsgemäße Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems infrage gestellt. Solche Handlungen wiegen umso schwerer, wenn sie innergemeinschaftliche Umsätze betreffen, deren Besteuerung auf Beweisen beruht, die von den Steuerpflichtigen zu erbringen sind. Die Versagung der Steuerbefreiung bei Nichteinhaltung der (zutreffenden) Angabe des Empfängers der igLieferung soll die Durchsetzung dieser Verpflichtung gewährleisten und Steuerhinterziehungen oder -umgehungen verhüten.

4."Besteht ernsthafter Anlass für die Annahme, dass der mit der fraglichen Lieferung zusammenhängende innergemeinschaftliche Erwerb im Bestimmungsland – trotz gegenseitiger Amtshilfe und Zusammenarbeit zwischen den Finanzbehörden der betroffenen Mitgliedstaaten – der Zahlung der Mehrwertsteuer entgehen könnte, muss der Ausgangsmitgliedstaat grundsätzlich dem Lieferer der Gegenstände die Befreiung verweigern und ihn verpflichten, die Steuer nachzuentrichten, um zu vermeiden, dass der fragliche Umsatz jeglicher Besteuerung entgeht." ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge